Gegen Bürokratie ist kein Kraut gewachsen? Drei Kreative sagen „doch“ und gründen ein eigenes Amt …
Der griechische Wortstamm Kratós steht für Stärke, Macht, Herrschaft und so sagt es eben aus, wer die jeweilige Marsch-Musik bestimmt. Einst die Aristokratie – die vermeintlich „Besten“. Dann die Demokratie – also das Volk. Heute eben die Büro-Kratie, die Schreibstube oder der Amtsschimmel, wie man auch gerne sagt. Aktenklappe zu, fertig der Käs´.
Zufriedenstellend mag das nicht sein. Aber eine Lösung findet sich auch nicht so eben. Denn „Ordnung muss sein“ ist das oberste Prinzip eines jeden Amtsstüblers und manch Normalo wünscht sich das ja irgendwie auch gerne für sich selbst. Und so ist das Jammern stets groß, das Elend eine feste Größe. Das soll sich jetzt ändern und was wurde gegründet? Ein Amt. Und zwar das „Amt für unlösbare Aufgaben“. Was für ein Titel – was für ein Anspruch!
Und die Website des neuen Amtes verspricht wahres Glück: „Frei nach dem Motto: ´Nicht rum jammern, sondern Rum trinken!` seid ihr jetzt gefragt. Verschwendet eure schönsten und absurdesten Bürokratie-Erlebnisse nicht in Bar-Gesprächen, sondern teilt sie mit dem Amt für unlösbare Aufgaben. Wir werden euer Leid in eine neue Wirklichkeit übersetzen. Auf gehts: DEUTSCHLAND BRAUCHT DICH Helft uns im Kampf um eine neue Bürokratie! Füllt die Umfrage gleich aus! Wir wollen euch zuhören! Willkommen in der Behörde von Morgen; im Amt für unlösbare Aufgaben. Zu lösen gilt es den Knäul der Bürokratie.“
Rum trinken statt jammern
Das Amt ist gut besetzt: Theaterregisseurin Leonie Pichler, Stadtentwickler Matthias Burgbacher, Designforscherin und Musikmanagerin Julia Wartmann arbeiten mit Mitarbeiter*innen der öffentlichen Hand und ihren Kund*innen, also uns Bürger*innen, an routinebrechenden Lösungsansätzen für die Verwaltung der Zukunft. Matthias Burgbacher erklärt uns:
„Eigentlich bringen wir zum Thema Bürokratie nicht viel mehr als unsere persönlichen Erfahrungen mit, da wir alle sehr viel und häufig mit der öffentlichen Hand arbeiten. Letztlich geht es aber genau darum: Kreativ(schaffend)e Menschen nehmen sich einem Thema an, mit dem sie inhaltlich gar nicht so viel zu tun haben. Kern ist dabei eben nicht die sachliche Expertise sondern das anwenden kreativer Methoden und Arbeitsweisen auf vermeintlich eher unkreativ scheinende Problemfelder. Dies ist inzwischen in der Wirtschaft ganz und gäbe – bedenken sie nur die vielen Design-Thinking-Abteilungen, die viele Unternehmen, wie bspw. die SAP, inzwischen gegründet haben.“
Innovation versus Ineffizienz
Im Amt für unlösbare Aufgaben treffen künftig Welten aufeinander: die öffentliche Verwaltung und die Kultur- und Kreativwirtschaft. Die eine Seite, die Kreativen, stehen oftmals für innovative und flexible Arbeitsprozesse, während sich die andere Seite, laut Forsa 2015, gegen ein „ineffizientes und schwerfälliges“ Image wehren muss.
„Im Herbst eröffnen wir schließlich eine Zukunfts-Behörde, in der mit Inszenierungen, Workshops und Vorträgen die Ergebnisse des Amts für unlösbare Aufgaben erlebbar gemacht werden. Nach dieser Erfahrung werden sich die Bürger*innen auf ihre nächste Steuererklärung freuen. Das Amt für unlösbare Aufgaben hat es sich zum Ziel gemacht den Knäul der Bürokratie zu entzerren“, so ist im verständlichen Amtsdeutsch zu lesen. Und weiter: „Hilf uns und erzähl uns deinen persönlichen Behördenwahnsinn! Die besten Geschichten werden veröffentlicht. Natürlich nur, wenn Du das willst!“
Heidelberg schon dran
Das Portal DEUTSCHLAND BRAUCHT DICH dient erst einmal dazu, Erlebnisse zum Thema Bürokratie zu sammeln. Alle Zwischenstände werden regelmäßig im Logbuch veröffentlicht (logbuch-phase-elf.de) und am Ende wird es eine große Abschlussdokumentation geben.
Willkommen also in der Behörde von Morgen. Das AuA – so die selbstgewählte Kurzform des „Amts für unlösbare Aufgaben“ ist Teil des Projekts PHASE XI, eine Expedition mit der Kultur- und Kreativwirtschaft, das vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes durchgeführt wird und deutschlandweit acht aktuelle Themen von Ernährung über Internet der Dinge bis Mobilität unter die Kreativlupe nehmen wird.
Und in Heidelberg sind sie schon aktiv: Sechs Mitarbeiter der Stadt Heidelberg aus den Ämtern Personal und Organisation, Bürgerdienste und Wahlen, Digitale Zukunft sowie die Leiterin des Oberbürgermeister-Referats, Nicole Huber, beschäftigen sich seit Juli 2017 mit den Hürden und Hemmnissen der Bürokratie und denken gemeinsam mit den drei Kreativschaffenden über Alternativen und Lösungsansätze nach. Das AuA – das Amt für unlösbare Aufgaben – hat zuvor im Dezernat 16, dem Kultur- und Kreativwirtschaftszentrum, seine erste öffentliche Präsentation gehalten. „Es ist uns wichtig, eng mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der öffentlichen Hand zusammenzuarbeiten“, erklärte dort Matthias Burgbacher. „Bürokratieumbau oder –abbau soll auf beiden Seiten eine Erleichterung darstellen, für die Bürgerinnen und Bürger und die Angestellten.“
´Regeln stammen vom Gesetzgeber`
Das Online-Tool deutschland.brauchtdich.com wurde bereits eingerichtet. Hier sollen alle Menschen – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden und Bürgerinnen und Bürger – und zwar aus ganz Deutschland positive und negative Erlebnisse mit Bürokratie berichten. Sinn dieser Aktion ist es, dass das AuA sich nicht der eigenen Klischees bedienen möchte, sondern die Arbeit auf tatsächliche Erlebnisse stützen will. „Deshalb ist es sehr wichtig, dass hier möglichst viele Menschen mitmachen“, betont Matthias Burgbacher. Und auch die Verwaltung ist bisher um gute Laune bemüht. Aus gutem Grund: „Es ist wichtig zu bedenken, dass die meisten bürokratischen Regeln auf den Gesetzgeber zurückgehen“, betont Nicole Huber aus dem Vorzimmer des Heidelberger Bürgermeisters. „Diese Regeln dienen vor allem der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und sorgen für eine Gleichbehandlung.“ Und genau darin liegt nun die Herausforderung für die Kreativschaffenden: „Es ist nicht unser Ziel, die Bürokratie in Frage zu stellen. Wir werden hinterfragen, wo es möglich ist, Bürokratie besser nachvollziehbar oder angenehmer zu gestalten“, erklärt Matthias Burgbacher die Arbeit des Teams. „Als Kreativschaffende können wir Vorgänge und Strukturen aus einem neuen Blickwinkel betrachten und Alternativen denken und modellhaft umsetzen.“
Wir sind gespannt. Und: Zum Ende des Jahres wird eine Gesamtdokumentation und Webserie mit allen Ergebnissen erscheinen. Die wollen wir dann mal genauer lesen …
Bis dahin:
Das Amt fuer unloesbare Aufgaben auf Facebook
und ein Artikel aus der MRN-News zum konkreten Projekt in Heidelberg