Interview mit Sven Tetzlaff von der Körber-Stiftung zur Ausstellung

„Wir sollten ihnen zuhören“

Sven Tetzlaff im Gespräch (Foto: Claudia Höhne / Körber-Stiftung)

Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement, Zusammenhalt der Körber-Stiftung, erläutert im Interview, warum die Hamburger Stiftung sich dem Thema Exil widmet und welche Schwerpunkte sie setzt.

Im Hamburger Rathaus wird vom 11. Bis 26. November die Ausstellung »Flucht ins Ungewisse – Hamburger Persönlichkeiten im Exil« zu sehen sein. Sven Tetzlaff erläutert sie Hintergründe und Idee.

Warum hat die Körber-Stiftung das Thema Exil zum Fokusthema gewählt?

Sven Tetzlaff: Unsere Stiftung will den Zusammenhalt in Deutschland stärken und dafür die Talente, Erfahrungen und Ideen aller einbeziehen. Das gilt auch für Menschen, die hier im Exil Schutz vor Terror, Unrecht und Verfolgung finden. Ihre Stimmen hörbar zu machen, ihre Teilhabe und Mitwirkung zu fördern – das ist unser Anliegen mit dem Schwerpunkt »Neues Leben im Exil«.

Greifen Sie das Thema auf, weil gegenwärtig so viele Menschen nach Deutschland geflüchtet sind?

Sven Tetzlaff: Es ist weniger eine Frage der Zahl als des Prinzips: Gerade in Zeiten, in denen Demokratien unter Druck geraten und sich Autokratien und Diktaturen ausbreiten, halten wir es für geboten, dass Deutschland Menschen Schutz bietet, die aufgrund ihrer Religion, Zugehörigkeit zu einer Minderheit oder ihres Eintretens für Freiheit und Rechtstaatlichkeit verfolgt werden.

Sie setzen bewusst auf den Brückenschlag vom historischen Exil während des Nationalsozialismus zum aktuellen Exil heute in Deutschland. Wo sehen Sie Kontinuitäten?

Sven Tetzlaff: Das 20. Jahrhundert kann man als Jahrhundert des Exils bezeichnen. Es wurde geprägt durch Flucht, Vertreibung und Völkerverschiebungen. Nahezu die gesamte intellektuelle Elite Deutschlands wurde von den Nationalsozialisten vertrieben, ein unvorstellbarer Aderlass der geistigen Kultur. Viele der Vertriebenen konnten ihre Karriere im Exil nicht fortsetzen, Schriftsteller und Künstler sind verstummt. Manche haben sich das Leben genommen, andere sind zerbrochen. Diese Entwicklung darf sich heute – unter umgekehrten Vorzeichen – nicht wiederholen.

Haben wir deshalb eine besondere Verantwortung, uns aktuell mit dem Exil zu beschäftigen?

 Sven Tetzlaff: Die Geschichte legt uns eine besondere Verantwortung zum Handeln in der Gegenwart auf. Heute ist Deutschland Exilland. Wir sollten die Lehren aus der Geschichte ziehen und auf Teilhabe, Begegnung und Dialog setzen.

Warum sprechen Sie von »Exil«, nicht von »Geflüchteten«?

Sven Tetzlaff: Wir sehen mit großer Sorge, dass häufig pauschal abwertend über »die Migranten« oder »die Flüchtlinge« gesprochen wird. Mit abstrakten Zahlen, Krisenszenarien und ökonomischen Fragen wird eine Atmosphäre der Bedrohung erzeugt. Der Begriff »Exil« erinnert daran, dass viele Menschen aus ihren Herkunftsländern vertrieben wurden, weil sie unsere Werte von Demokratie und Menschenrechten teilen und sich dafür engagieren. »Exil« – dieses Wort zielt auf die individuelle Erfahrung und den Willen, die Situation im Herkunftsland zu verbessern.

Sie widmen Ihr Fokusthema also vor allem den Exilierten, die sich gesellschaftlich einbringen?

 Sven Tetzlaff: Ja, es geht um hierher geflüchtete Menschen, die sich in die Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens einbringen wollen, dafür publizistische, künstlerische oder andere Mittel wählen, die Resonanz erzeugen und die so zu einer lebendigen Bürgergesellschaft in Deutschland beitragen. Um mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen, arbeiten wir mit Organisationen zusammen, die zum Beispiel mit einem Fokus auf Schriftsteller oder auf Journalisten im Exil aktiv sind. Wir vernetzen uns mit ihnen und vergrößern auf diese Weise das Netzwerk der Exilierten.

Inwiefern bereichern Menschen im Exil mit ihrer Perspektive unsere Gesellschaft?

 Sven Tetzlaff: Diese Menschen haben sich in ihrer Heimat häufig für Freiheit und Demokratie eingesetzt. Wir sollten ihnen zuhören und ihr Engagement hier nicht verkümmern lassen, sondern ihnen Möglichkeiten bieten, mit uns gemeinsam die Gesellschaft besser zu machen. Vor dem Hintergrund des Verlustes von Heimat spielen Fragen der Zugehörigkeit für Exilanten eine große Rolle. Mit ihren Gedanken dazu können sie unsere Diskussion um Heimat bereichern.

Was macht das Leben im Exil mit den Menschen? Wie verändern sie sich?

Sven Tetzlaff: Exil erleben die Menschen individuell. Wir wissen aus Untersuchungen, dass der Verlust der Heimat, des vertrauten Umfeldes und der Sprache, von Familien, Freunden, politischen Weggefährten, einen tiefen Einschnitt in Biografie und Psyche bedeuten. Verlust von Zugehörigkeit, Einsamkeit und das Gefühl des ausgegrenzt seins sowohl aus dem Heimatland als auch in der Ankunftsgesellschaft bestimmen die neue Situation ebenso wie das Gefühl von Freiheit, Aufbruch und schöpferischer Kreativität.

Sie legen einen besonderen Schwerpunkt auf das Thema Exiljournalismus. Warum?

 Sven Tetzlaff:  Exiljournalisten sind wichtige Multiplikatoren, sowohl für das Zusammenleben hier als auch für die Kommunikation mit der Heimat. Sie versorgen die Menschen in der Heimat mit Informationen jenseits der oftmals gelenkten Medien und stärken auf diese Weise die Demokratie. In Deutschland informieren sie andere Exilierte über das Herkunftsland, aber auch über das Exilland in der Muttersprache. Das ist gerade am Anfang wichtig, wenn die Menschen die deutschsprachigen Medien noch nicht nutzen können. Ohne Informationen keine Teilhabe. Journalisten fördern diese Teilhabe.

Wie viele Exilierte gibt es gegenwärtig in Deutschland bzw. in Hamburg?

 Sven Tetzlaff: Darüber liegen keine Zahlen vor. Sie werden unter diesem Begriff weder von den Behörden erfasst, noch hat die Wissenschaft dazu geforscht.

Wie unterstützt die Körber-Stiftung Menschen, die hier im Exil leben?

Sven Tetzlaff: Studien zeigen, dass für Menschen im Exil Kontakte, Begegnungen und Netzwerke wichtig sind. Wir richten deshalb das Exile Media Forum aus. Während dieser Konferenz können Journalisten im Exil ihre Arbeit präsentieren, sich vernetzen und ihre Wahrnehmung in der deutschen Medienlandschaft stärken. Im KörberForum berichten Menschen im Exil in Gesprächsveranstaltungen über ihre Erfahrungen. Und während der »Tage des Exils« kommen Exilierte und Hamburgerinnen und Hamburger miteinander in Kontakt und Austausch.

(das Interview stellte uns die Körber-Stiftung zur Verfügung.)

 

Siehe auch dazu den Bericht zur Ausstellung der Körber-Stiftung hier auf ´Tiefgang`.

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