Dokumentation der Stiftung Wüstenrot zur Zukunft früherer Kirchen

Baukunst sucht neue Aufgabe

In Metropolen wie Hamburg, Berlin oder Frankfurt herrscht Raumnot – auch für die Kultur. Andererseits stehen viele Kirchenbauten leer und laden geradezu zu einer neuen kulturellen Gemeindearbeit ein. Eine Dokumentation zeigt eindrucksvoll, was alles Neues daraus entstehen kann.

„Wüstenrot“ ist den meisten Deutschen als Bausparkasse ein Begriff. Nur wenige aber wissen, dass sie auch eine Stiftung hat. Die führt unter anderem Wettbewerbe durch, um zum Thema Bau neue  Impulse sichtbar zu machen. So auch zum Bereich der neuen Gestaltung von Kirchenräumen. Denn die meisten Kirchen Deutschlands stehen zentral im Gemeindeleben, selbst wenn dies religiös immer seltener Zulauf findet. So wie in Harburg die Dreifaltigkeitskirche an der Neuen Straße, die nun von der Initiative SuedKultur kulturell erkundet und erprobt wird. Bei der Suche nach ähnlichen Konzepten stießen wir unweigerlich auf diese Dokumentation, über die es eben auch zu berichten lohnt.

Denn eben viele Kirchenbauten bleiben ungenutzt, liegen der religiös geprägten Gemeindearbeit als Kostenfalle auf der Tasche und werden oftmals zum Verkauf feilgeboten. Aber eine Kirche als Supermarkt? Oder gar als Moschee wie in Hamburg-Horn? So einfach ist es nicht. Denn es geht um mehr als um ein alltägliches Gebäude.

Die Kirchen in Deutschland stehen vor gewaltigen Aufgaben. In vielen Gemeinden gehört dazu auch die Entwicklung von Strategien, wie der eigene Gebäudebestand angesichts von sinkenden Gemeindemitgliederzahlen, veränderten Nutzungsanforderungen und hohen Kosten für Instandhaltung und Betrieb an die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Gemeindelebens angepasst werden kann.

Oftmals erscheinen die Zusammenlegung von Gemeinden und die Schließung von Kirchengebäuden als einzig mögliche Reaktion. Häufig ist damit auch ein Verlust an Möglichkeiten der sozialen Gemeinwesensarbeit verbunden.

Der Wettbewerb der Wüstenrot Stiftung half, Beispiele aufzuspüren und machte sie so sichtbar. Sie zeigen, wie Kirchengebäude und Gemeindezentren als öffentliches Bekenntnis und sichtbarer Teil eigener kultureller Identität erhalten werden können. Einerseits, um den Kirchen und Kirchengemeinden mögliche Strategien für den Umgang mit ihren Gebäuden aufzuzeigen und andererseits, um auf die gesellschaftliche Verantwortung für die architektonische, konzeptionelle und ökonomische Aufgabe hinzuweisen, das mit den Kirchengebäuden verbundene, oft denkmalgeschützte baukulturelle Erbe zu erhalten.

Besondere Orte

Kirchen sind besondere Orte. Sie sind baulicher Ausdruck individueller und gemeinsamer Spiritualität und geben Raum für Besinnung und innere Zwiesprache. Zugleich sind Kirchen auch Orte, an denen Wandel und Transformation erkennbar werden. Aktuelle Veränderungen in gesellschaftlichen Werten und Orientierungen, in persönlichen und kollektiven Verhaltensweisen und in demografischen wie finanziellen Rahmenbedingungen werden in Form und Nutzung von Kirchen manifest.

Die Wüstenrot Stiftung hat in einem bundesweiten Wettbewerb beispielhafte Konzepte und Strategien gesucht, mit denen die Zukunft von Kirchen als besondere Orte gesichert werden kann. Die Inhalte und Ergebnisse des Wettbewerbs wurden in diesem Buch zusammengefasst; es zeigt 33 Beispiele dafür, wie Kirchen und Gemeindezentren als öffentliches Bekenntnis und sichtbarer Teil kultureller Identität erhalten werden können.

Beim Wettbewerb fand sich aber einiges mehr:

Die Preisträger

Die Jury des Wettbewerbs unter Vorsitz von Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert hat unter den Einsendungen zwei besonders herausragende Lösungen gefunden. Sie bewältigen die für viele Gemeinden zentrale Herausforderung, konfessionelle Sakralräume neu zu gestalten und neu zu interpretieren, um sie zukunftsfähig zu machen. Die beiden unterschiedlichen Strategien können als komplementäre Ansätze betrachtet werden. Die Jury hat deshalb nach mehreren Sitzungen, zwischen denen alle Gebäude in der engeren Wahl vor Ort besichtigt wurden, einstimmig beschlossen, diese beiden Beispiele mit zwei gleichwertigen, jeweils mit 10.000 Euro dotierten Preisen zu prämieren.

Die katholische Heilig-Geist-Kirche der St. Martinus-Gemeinde in Olpe hat im kirchlichen Kontext ein neues Profil erhalten. Gemeinsam mit Schilling Architekten (Köln) erhielt das Programm einer „offenen Kirche“ im Inneren und im Äußeren einen in jeder Hinsicht überzeugenden Ausdruck. Vergleichbar der Neuorientierung im Selbstverständnis und in den Aktivitäten der Gemeinde öffnet sich nun auch das Kirchengebäude zum Stadtraum und eine neu geschaffene, kommunikative Raumstruktur setzt diesen offenen Charakter gezielt bis in den zentralen Bereich der kirchlichen Liturgie nach innen fort. Anstelle des möglichen Abrisses und Identitätsverlustes ist es mit dem gewählten neuen Profil gelungen, das vorhandene Gebäude sowohl in pastoraler wie liturgischer Hinsicht als auch unter architektonischen Aspekten auf vorbildliche Weise zu perfektionieren.

Die katholische Heilig-Geist-Kirche der St. Martinus-Gemeinde in Olpe (Stiftg. Wüstenrot)

Für den Erhalt der evangelischen Kirche im Stadtteil Bochum-Stahlhausen wurde gemeinsam mit Soan Architekten (Bochum) ein anderes neues Profil gewählt. Es setzt sich aus verschiedenen Grundlagen zusammen, die auch außerhalb der Kirchengemeinde gefunden wurden. Gemeinsam mit IFAK e.V. (Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe – Migrationsarbeit) ist ein partnerschaftliches Pilotprojekt für ein attraktives Stadtteilzentrum entstanden, dessen sozialer Charakter in hohem Maße mit der konkreten städtischen Situation korrespondiert. Der im Jahr 2000 bereits einmal verkleinerte Kirchenraum konnte als regulärer Gottesdienstraum nicht mehr erhalten werden. Stattdessen erfolgte nun eine spirituelle Profilierung durch die Schaffung eines multireligiös offenen Andachtsraums, der als „Raum der Stille“ bezeichnet wird. Er überzeugt aufgrund seiner zentralen Lage im erweiterten Gebäudekomplex und seiner sensiblen Schwellengestaltung. Die christliche Motivation bleibt präsent, ohne sich aufzudrängen; dadurch kann dieser Raum Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Prägung spirituelle Erfahrungen vermitteln.

evangel. Kirche im Stadtteil Bochum-Stahlhausen (Foto: Stftg. Wüstenrot)

Beide Lösungen – die Profilierung des konfessionellen Sakralraums im kirchlichen Kontext sowie die Entwicklung eines neuen Sakralraums mit veränderter religiöser Profilierung und in partnerschaftlicher Trägerschaft – sind aus Sicht der Jury gleichermaßen überzeugend beschritten worden, weshalb beide Projekte mit dem ersten Preis honoriert werden.

Weitere Prämierungen

Im Rahmen der Gesamtpreissumme von 50.000 Euro wurden sieben weitere Projekte prämiert.

Zwei Auszeichnungen mit je 7.500 Euro

Die zweite Kategorie bilden zwei Auszeichnungen mit je 7.500 Euro:

Die Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück, umgestaltet von Klodwig & Partner Architekten (Münster). Die Umwidmung als Kolumbarium ist eine Strategie zur Erhaltung von Kirchengebäuden, die bundesweit an Bedeutung gewinnt. Sie ermöglicht es einerseits, Kirchengebäude in ihrer Gestalt weitgehend zu erhalten, und reagiert andererseits auf das in vielen Gemeinden gewachsene Bedürfnis nach (neuen) Orten für eine Urnenbestattung. Die Kolumbariumskirche Heilige Familie in Osnabrück ist nach Auffassung der Jury in Gestaltung und Nutzung ein besonders gelungenes Beispiel für die mit dieser Strategie verbundenen Möglichkeiten, in dem sich die vorgegebene Verkleinerung des Gottesdienstraumes wie selbstverständlich mit der zusätzlichen neuen Nutzung als Kolumbarium verbindet.

Die evangelische Philippuskirche in Mannheim. Die aus den 1960er Jahren stammende Kirche erhielt schon in ihrer ursprünglichen Form eine mehrfache Nutzung. Der gestalterisch überzeugende Umbau durch das Architekturbüro Veit Ruser + Partner (Karlsruhe) erlaubt nun ein noch einmal erweitertes und differenzierteres Nutzungskonzept. In hervorragender Weise ist es gelungen, den identitätsstiftenden Charakter des Kirchengebäudes zu erhalten und zugleich der Kirchengemeinde die für den weiteren Erhalt des Gebäudes dringend erforderlichen räumlichen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen.

Fünf Anerkennungen zu je 3.000 Euro:

Den Umbau der evangelischen Immanuelkirche in Kassel durch Atelier 30 Architekten GmbH (Kassel). Es ist gelungen, die besonderen, gestalterischen Qualitäten des Kirchengebäudes zu bewahren und im Inneren durch zwei neutrale und flexible Gruppenräume das räumliche Angebot zu ergänzen. Die in enger Abstimmung mit der Kirchengemeinde gefundene, in ihrer Klarheit überzeugende Lösung respektiert die vorhandenen Raumqualitäten und entwickelt sie in überzeugender Weise weiter.

Die Neugestaltung der katholischen Kirche Maria – Hilfe der Christen in Kehl durch das erzbischöfliche Bauamt Freiburg, unter Mitwirkung des Künstlers Stefan Strumbel. Eine mutige, sehr stark künstlerisch geprägte Erneuerung in Verbindung mit einer geänderten liturgischen Ausrichtung führt im Inneren der Kirche zu einer veränderten, offenen Atmosphäre, die einen erweiterten Kreis an Kirchenbesuchern anspricht.

Den Umbau der evangelischen Dornbuschkirche in Frankfurt durch Meixner Schlüter Wendt Architekten (Frankfurt). Neu entstandene räumliche und funktionale Qualitäten ermöglichen es, aus einem Rückbau einen Gewinn für die Kirchengemeinde zu realisieren. Das Ensemble aus Turm und Gemeindezentrum bleibt intakt und wird außen durch einen neuen öffentlichen Platz erweitert, der die Verbindung zwischen der Kirche und der Stadt stärkt.

Den Umbau der evangelischen Christuskirche Bruchhof-Sanddorf durch die ARGE Bayer Uhrig + Modersohn & Freiesleben (Kaiserslautern). In eine kleine Kirche konnten durch eine ästhetisch prägnante, räumliche Neuorientierung wichtige Funktionen der Gemeindearbeit integriert werden. Entstanden ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie kluge Architektur auch mit bescheidenen Mitteln ein passgenaues Nutzungskonzept in überzeugender Qualität verwirklichen kann.

Die Instandsetzung und Erhaltung der ehemaligen Rittergutskirche Kleinliebenau bei Schkeuditz durch Ursula Quester (Leipzig) und den Kultur- und Pilgerverein Kleinliebenau e. V. (Schkeuditz). Nach jahrelangem Leerstand des Kirchengebäudes ist es einer privaten Initiative mit großem Engagement gelungen, das baugeschichtliche Kleinod mit einem innovativen Konzept zu seiner Nutzung als Station eines Pilgerweges zu retten und seine zukünftige Erhaltung zu sichern.

Als bemerkenswerte Beispiele im Sinne der Wettbewerbsauslobung hat die Jury außerdem folgende Angebote in die „Engere Wahl“ aufgenommen:

  • Die Johanneskirche in Altenbach (netzwerkarchitekten GmbH, Darmstadt)
  • Die Grabeskirche St. Joseph in Aachen (Hahn Helten + Assoziierte GmbH, Aachen)
  • Die Melanchthonkirche in Hannover (Dreibund Architekten BDA, Bochum)
  • Die Christus-König-Kirche in Düsseldorf (Pinkarchitektur, Düsseldorf)
  • Das Kloster St. Anton in München (hirner & riehl Architekten, München)
  • Das Pfarrzentrum St. Maria in Neersen (Elmar Paul Sommer, Monschau)
  • Die Kirche St. Hedwig in Frankfurt (PGS Projektmanagement GmbH)
  • Die Kirche Winz-Baak (Soan Architekten, Bochum)
  • Die St. Bernaduskirche in Oberhausen (zwo+ Architekten, Bochum)
  • Die Schlosskirche Colditz (Architekturbüro Fischer, Dresden)
  • Die Simeonskirche in München (Robert Rechenauer Architekt BDA, München)

Unter den Einsendungen zu diesem Wettbewerb befinden sich zahlreiche weitere Beispiele, die als Impulse für den Umgang mit bestehenden Kirchengebäuden dienen können. Die Wüstenrot Stiftung dankt gemeinsam mit den Mitgliedern des Preisgerichtes allen Architekten, Kirchengemeinden und anderen Beteiligten für ihr Engagement und für ihre Teilnahme am Wettbewerb.

Kriterien

Bewertet wurden in diesem Wettbewerb in erster Linie:

  • Die Ertüchtigung von Gebäuden im Sinne sozialer, ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit, entweder in der ursprünglichen oder in veränderter Nutzung
  • Die Qualität der architektonischen Gestaltung und des Städtebaus
  • Die Signifikanz des Beispiels als Beitrag zur Bewahrung baukulturellen Erbes
  • Die mit der Veränderung verbundenen Impulse für eine Weiterentwicklung des Gemeindelebens
  • Der vorbildhafte Umgang mit historischer Bausubstanz.

Die Publikation zum Wettbewerb der Wüstenrot-Stiftung:

Kirchengebäude und ihre Zukunft. Sanierung – Umbau – Umnutzung

263 Seiten mit zahlreichen Abbildungen; Wüstenrot Stiftung [Hg.], Ludwigsburg 2017, ISBN: 978-3-933249-37-1, kostenlos bestellbar unter wuestenrot-stiftung.de/publikationen

Quelle: wuestenrot-stiftung.de

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