Das kulturelle Leben der Metropole kurz vor dem Kollaps:

Ist unsere Kultur virenresistent?

Finanzsenator Dressel will für Umsicht der Finanzbehörde sorgen.

„Abgesagt“ statt „angesagt“ ist das Motto dieser Tage. Das Virus legt nach und nach das soziale und kulturelle Leben der Stadt lahm. Was heißt das für die Veranstalter*innen?

Ob Konzerte im Stellwerk oder Marias Ballroom oder auch dem DRK-Harburg Huus, Lesungen in Haspa-Filialen, Theater im Elbdeich der Kunsthandwerkermarkt am Kiekeberg oder Tanzabende in der Fischhalle – auch das kulturelle Leben in Harburg erwischt die Corona-Pandemie eiskalt.  Und so gut es ist, die Welle an Erkrankungen zu verlangsamen und so der Pandemie ihre Wucht zu nehmen, so sehr zeigt sich, wie teils dramatisch sich solche Krisen auf die Kulturszene auswirken können. Denn während Elbphilharmonie-Intendant Lieben-Seuttner in den Tagesthemen beruhigend erklärte: “In einem Konzertsaal wie diesem hier – der ist geräumig, der ist modern, hat eine super Klimaanlage – hier ist die Gefahr auch für 2000 Leute, sich anzustecken, sicher wesentlich geringer als in einem kleinen, engem, alten Saal oder in einem Club oder ähnlichem“, kontert der Geschäftsführer des Hamburger Clubkombinats, Thore Debor, umgehend:

„Herr Lieben-Seutter,

ich freue mich, dass Sie über eine aus Steuergeldern finanzierte Klimaanlage verfügen und die Elbphilharmonie Hamburg als virensicheren Ort einstufen. Jedoch stünde es Ihnen gut zu Gesicht, wenn Sie in Anbetracht der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung, vor der wir in diesen Tagen stehen, ein Zeichen der Solidarität senden würden, anstatt Seitenhiebe an andere Kulturbetriebe zu verteilen.

Ich schlage daher vor, dass Sie auf jedes künftig verkaufte Elbphilharmonie-Ticket einen Club-Soli-Euro erheben, diese Beträge an die Clubstiftung spenden und wir uns gemeinsam für das Überleben der Hamburger Musikclubs einsetzen. Zumindest so lange, bis alle Clubs diese existentielle Krise überlebt haben und auch mit super Klimaanlagen ausgestattet sind.“

Die Stimmung ist angespannt und aufgeheizt.

Angesichts der Absage von Kulturveranstaltungen und des spürbaren Besucherrückgangs verkündete Kulturstaatsministerin Monika Grütters am Mittwoch (11.3.2020):

„Mir ist bewusst, dass diese Situation eine große Belastung für die Kultur- und Kreativwirtschaft bedeutet und insbesondere kleinere Einrichtungen und freie Künstlerinnen und Künstler in erhebliche Bedrängnis bringen kann.“  Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien empfiehlt bundesgeförderten Kultureinrichtungen, sich an den Hinweisen des Robert-Koch-Instituts zu orientieren. Danach sind größere Veranstaltungen abzusagen, insbesondere solche, die in begrenzten Räumlichkeiten stattfinden. Bei kleineren Veranstaltungen müsse man sich mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls fragen, ob eine Durchführung verantwortbar ist.

„Wir erkennen in dieser Situation aber auch: Kultur ist nicht ein Luxus, den man sich in guten Zeiten gönnt, sondern wir sehen jetzt, wie sehr sie uns fehlt, wenn wir für eine gewisse Zeit auf sie verzichten müssen“, sagte Grütters. „Wenn wir in dieser Situation dennoch empfehlen, Veranstaltungen abzusagen, tun wir das, weil wir es zur Zeit mit einer außergewöhnlichen Notsituation zu tun haben.“

Und weiter: „Künstler und Kultureinrichtungen können sich darauf verlassen, gerade mit Blick auf die Lebenssituationen und Produktionsbedingungen der Kultur-, Kreativ- und Medienbranche: Ich lasse sie nicht im Stich! Wir haben ihre Sorgen im Blick und werden uns dafür einsetzen, dass die speziellen Belange des Kulturbetriebs und der Kreativen miteinbezogen werden, wenn es um Unterstützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen geht.“ Sie habe deshalb in der Bundesregierung angeregt, zu den anstehenden Gesprächen über Hilfsmaßnahmen auch Vertreterinnen und Vertreter aus Kultur und Medien einzuladen. „Wir müssen auf unverschuldete Härten und Notlagen reagieren und sie ausgleichen. Das muss uns nicht nur die Wirtschaft, sondern auch unsere durch die Absagen schwer gebeutelte Kulturlandschaft wert sein“, sagte Grütters.

Und auf Hamburger Ebene gibt es immerhin Angebote, die aber erst eines Realitätsschecks bedürften: nämlich die Herab- oder gar Aussetzung sowie Stundung von Steuerschulden (siehe Titelbild).

Zwischenzeitlich gab die Kulturbehörde am 12. März bekannt, dass die Gesundheitsbehörde hat eine Allgemeinverfügung zum Umgang mit Großveranstaltungen erlassen, nach der Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Hamburg zunächst bis zum 30. April 2020 nicht mehr stattfinden dürfen. Die Verfügung trat am 13. März 2020 in Kraft. Die Behörde für Kultur und Medien hatte sich mit den staatlichen Theatern und Konzerthäusern sowie mit Kampnagel verständigt, den Spielbetrieb in allen ihren Spielstätten ab Inkrafttreten der Allgemeinverfügung einzustellen. Dies betrifft alle Veranstaltungen in der Elbphilharmonie, der Laeiszhalle, der Hamburgischen Staatsoper, dem Deutschen Schauspielhaus, dem Thalia Theater und Kampnagel. Das Vorgehen ermöglicht eine konsequente Handhabung in allen staatlichen Theatern und Konzerthäusern sowie auf Kampnagel.

Für Kulturveranstaltungen an anderen Veranstaltungsorten mit einer geringeren Teilnehmerzahl als 1.000 gelten weiterhin die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für eine Risikoabwägung. Die Behörde für Kultur und Medien erwartet von allen Veranstalterinnen und Veranstaltern eine sorgfältige und umfassende Beachtung dieser Empfehlungen. Sollten diese nicht umsetzbar sein, sind auch kleinere Veranstaltungen abzusagen.

Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Der Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger ist in dieser Situation das Wichtigste und war ausschlaggebend für die jetzt getroffene, klare Entscheidung in unseren Häusern. Ich appelliere an alle privaten Kulturveranstalter, auch bei allen kleineren Veranstaltungen ihrer Verantwortung gerecht zu werden und dabei zu helfen, Risiken weiter zu minimieren. Die Folgen, die die aktuelle Situation für die Kultureinrichtungen sowie für Hamburgs Künstlerinnen, Künstler und Kreative hat, nehmen wir sehr ernst und sind mit ihnen in engem Austausch. Klar ist, dass die Kulturbehörde nach Kräften unterstützen wird. Wir arbeiten derzeit an Modellen, wie die wirtschaftlichen Folgen so gut wie möglich abgefedert werden können. Ich erwarte, dass sich dabei auch der Bund seiner nationalen Aufgabe bewusst ist und die Länder und Kommunen dabei unterstützt.“

Erstattung von Eintrittsgeldern

Wer Eintrittskarten für Veranstaltungen von staatlichen Kultureinrichtungen erworben hat, die nicht stattfinden können, erhält den Eintrittspreis zurück. Wird eine Veranstaltung verschoben, gelten Eintrittskarten in der Regel für den neuen Termin, können aber auch zurückgegeben werden.

Der Eintrittspreis wird auch erstattet, wenn eine Veranstaltung stattfindet, aber die Besucherinnen und Besucher entscheiden, die Veranstaltung nicht besuchen zu wollen oder von einem Besuch absehen, weil sie sich in einem vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuften Gebiet aufgehalten haben oder Krankheitssymptome zeigen. Informationen hierzu finden sich auf der Seite www.rki.de oder auf der Seite der Gesundheitsbehörde www.hamburg.de/coronavirus.

Aktuelle Informationen über Programm- oder Spielplanänderungen der Hamburger Kultureinrichtungen erhalten Sie auf den Internetseiten der jeweiligen Veranstalter.

Und die privaten Kulturanbietenden?

Das eine sind dabei die Veranstalter. In Harburg überwiegend privat organisierte: leidenschaftlich engagiert aber auch mit hohem Risiko bei kleinen Gewinnen. Da ist in solchen Zeiten jedes Krisenmanagement ein schmaler Grat.

Der Hamburger Clubbetreiber von Knust, Logo, m.E. Stellwerk  und „Sommer im Park“ ist auch im Vorstand des Bundesverbandes privater Musikspielstätten, der LiveKomm und hat in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur die Situation praxisnah beschrieben: Podcast

Und die Künstler*innen selbst?

Aber wie steht es um die Künstler*innen selbst? Ihr ohnehin geringes Einkommen lässt kaum zu, mehrere Auftrittsabsagen kompensieren zu können. Davon weiß der selbständige Musiker und Ex-Harburger Joachim Griebe ein wenig musikalisches Lied zu singen.

Er hilft in seinem „KSK-Forum“ vielen Kolleg*innen, wenn es um Fragen rund um die staatliche Künstlersozialkasse geht – ein Fonds, der Künstler*innen die soziale Absicherung im Falle von Krankheit und Alter unterstützen soll. Dazu zählt etwa die Übernahme der Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge, ist aber zugleich immer wieder an Auflagen verbunden. Werden diese nicht eingehalten (etwa durch Überschreitung einer gewissen Höhe von nicht-künstlerischen Einnahmen) entfällt der Anspruch. Mit anderen Worten: man fliegt aus der Künstlersozialkasse raus.

Hier sind eh schon prekäre Fälle versammelt, die im Durchschnitt ein Jahres(!)-Einkommen von 12.624,- € aufweisen und so auch durch ein System wie die neue Grundrente durchfielen. (Siehe hierzu ´Tiefgang` vom 29. Feb. 2020: „Zu arm für Grundrente“). Wer zahlt Ihnen entgangene Gagen und Kurse?

Wir haben Joachim Griebe dazu befragt. Er stellt seit 17 Jahren ein Forum zur Künstlersozialkasse mit Hilfestellungen zur Verfügung. Wir fragten, ob es denn derzeit besonders viele Anfragen wegen der Corona-Krise gäbe und vor allem schon jetzt absehbare Härtefälle? Auch ob sich absehen lasse, wie viele Auftritte abgesagt werden oder wie viele Künstler*innen in existenzielle Nöte gerieten? Da man zudem hoffen könnte, ein System wie die Künstlersozialkasse müsste doch Hilfe anbieten könne, gibt es hier ebenso Auskunft wie zu Ideen, grundsätzlich in Not geratenen Künstler*innen helfen zu können. Der Podcast in voller Länge Podcast Joachim Griebe

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