"Mein Weg hinaus" blickt auf Kindheit und die Suche nach Selbstbestimmung

Ulla Lohmanns Erinnerungen an eine prägende Jugend

Kunstkennerin Ulla Lohmann legt nun ihre Autobiografie vor. (Foto: Falk von Traubenberg)

Es gibt Bücher, die leise daherkommen und doch eine immense Wucht entfalten. „Mein Weg hinaus“ von Ulla Lohmann ist so ein Buch.

Es ist kein lautes Plädoyer, keine anklagende Abrechnung, sondern ein zutiefst persönlicher und doch universeller Bericht über das Erwachsenwerden in der Nachkriegszeit. Ulla Lohmann, vielen in Hamburg-Harburg nicht zuletzt durch ihr langjähriges kulturelles Engagement und ihren nichtkommerziellen Ausstellungsraum C15 bekannt, legt hier ihre Kindheit und Jugend zwischen 1949 und 1969 im Rheinland offen – eine Zeit und ein Ort, die für viele eine ganze Generation geprägt haben.

Die Autorin, die seit 1969 in Hamburg lebt und arbeitet, hat sich über Jahrzehnte hinweg nicht nur den Naturwissenschaften und der Stadt- und Landschaftsplanung gewidmet, sondern auch intensiv kulturpolitisch engagiert. Ihre Sammlungen von Gegenwartskunst und ihre Gesprächsreihe „dialogKULTUR“ im Rahmen des C15 zeugen von einem tiefen Verständnis für die Mechanismen von Kunst und Gesellschaft. Mit „Mein Weg hinaus“ offenbart sie nun eine weitere Facette ihres Schaffens: die einer sensiblen Beobachterin ihrer eigenen Vergangenheit.

Ein nüchterner Blick auf ein enges Korsett

Ulla Lohmann nimmt uns mit in ein konservativ geprägtes Elternhaus an der niederländischen Grenze, in eine Welt, die von Bevormundung, überlieferten Kriegstraumata und einer spürbaren Lieblosigkeit durchzogen ist. Die Erzählung beginnt mit der detaillierten Beschreibung einer Kindheit und Jugend im Rheinland, nahe der niederländischen Grenze. Hier wird das Fundament für das Verständnis der späteren Entwicklung gelegt. Es wird ein Bild des ländlichen Lebens gezeichnet, das stark von katholischer Prägung, traditionellen Familienstrukturen und den unaufgearbeiteten Schatten des Zweiten Weltkriegs bestimmt ist.

Sie erzählt von Familienurlauben und -festen, von der Verwandtschaft, der Schule und der Kirche, vom Leben auf dem Dorf, Kommunion, Beichte und Prozessionen. Es sind präzise Beobachtungen, die uns ein Gefühl für die „engen Verhältnisse“ vermitteln, aus denen die junge Ulla schließlich auszubrechen versucht und zumindest nach dem Schulabschluss ihren Heimatort verlässt: „Niemals verspürte ich Sehnsucht, niemals bemerkte ich die geringste Spur von Heimweh. Doch wie oft bin ich in Gedanken, die Kindheitserinnerungen im Kopf, durch die bescheidenen Zimmer, den Garten und die Obstwiese gelaufen, habe renoviert, umgebaut und renaturiert.“

Der Aufbruch zum Studium in die Großstadt markiert den entscheidenden Wendepunkt und den Höhepunkt ihrer Erzählungen. Die Aufnahme des Studiums in Hamburg wird zugleich zum Symbol für den erfolgreichen Ausbruch und die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu beginnen. Es ist der konkrete Akt der Befreiung, der über die bloße Sehnsucht hinausgeht.

Dabei wählt Lohmann einen bemerkenswert klaren und nüchternen Ton. Es ist eine Prosa, die Distanz schafft, ohne kalt zu wirken. Sie vermeidet Vorwurf und Abrechnung, stattdessen beschreibt sie das Geschehen mit einer fast schon dokumentarischen Genauigkeit. Diese Zurückhaltung im Ausdruck macht die zugrunde liegende Thematik – die Suche nach Selbstbestimmung und die Befreiung aus einem Geflecht seelischer Armut – umso eindringlicher. Man spürt die innere Not, den wachsenden Wunsch nach Veränderung, der sich Seite für Seite durch das Buch zieht, ohne dass er je explizit ausformuliert werden müsste. Die Lücken, das Ungesagte, sprechen oft lauter als jede direkte Anklage.

Die gesellschaftliche Prägung einer Generation

Was „Mein Weg hinaus“ besonders wertvoll macht, ist seine Fähigkeit, über die individuelle Geschichte hinaus ein gesellschaftliches Umfeld lebendig werden zu lassen. Es ist die Geschichte einer Frau, die ihren eigenen Weg gehen musste, wie so viele andere jener Zeit, die sich aus ähnlichen Verhältnissen befreien wollten. Das Buch wird damit zu einem Zeitdokument, das die Prägung einer ganzen Generation beleuchtet, die im Schatten des Krieges und in einem oft starren gesellschaftlichen Gefüge aufwuchs.

Ulla Lohmanns „Mein Weg hinaus“ ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, das leise Fragen stellt und doch tief in die menschliche Seele blickt. Es ist ein Plädoyer für die innere Stärke und den Mut, sich den eigenen Weg zu bahnen – selbst wenn dieser Weg aus engen Verhältnissen herausführt. Absolut lesenswert!

Ulla Lohmann – Mein Weg hinaus. Kindheit und Jugend in engen Verhältnissen

Dittrich Verlag (in der Velbrück GmbH Verlage), 2025 (Soeben erschienen)

ISBN: 978-3-910732-49-0

Umfang: 208 Seiten, Hardcover, Preis: 22,00 €

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