Auslandsreporter Dennis Gastmann gastiert zur 3. SuedLese in der Bücherhalle:

Vorletzter Samurai in Harburg

Japan einfach mal wirken lassen, davon wird Dennis Gastmann im Rahmen der SuedLese 2018 berichten. (Foto: Rowohlt Verlag)

Jedes Jahr zur SuedLese tun sich die Bücherhalle Harburg, VHS Harburg und Buchhandlung am Sand zusammen und gönnen nicht sich, sonder Ihnen, liebe Literaturfans, einen Stargast für Harburg. Dieses Jahr: Dennis Gastmann.

Nach Heinz Strunk mit dem „Goldenen Handschuh“ (2016) und Wladimir Kaminer „Meine Mutter, ihr Katze und der Staubsauger“ (2017) kommt dieses Jahr Dennis Gastmann als Stargast nach Harburg. „Der vorletzte Samurai“ titelt sein neues Buch. Ein vieldeutiger Titel, den wir ergründen wollen ohne die Spannung auf den Abend zu nehmen.

In seinem neuen Buch geht es um Japan. Dennis Gastmann entdeckt das Land der Rätsel, Regeln und Rituale. Die Jahrhunderte der Abschottung liegen weit zurück, und doch wirkt dieses Land bis heute unvergleichlich fremd und geheimnisvoll. Gastmann macht sich auf, es zu erkunden, und seine Frau, die aus einer alten Samurai-Familie stammt, begleitet ihn. Die beiden bereisen den ganzen Inselstaat, von den Seen der Götter auf Hokkaido bis zu den Vulkanen auf Kyushu, und verlieren sich im Lichterrausch von Tokyo, Kyoto und Osaka. Japan, wie es sich der Westen vorstellt, erlebt Gastmann im Neongewitter eines Roboterrestaurants. In den „Höllen“ von Beppu dagegen, das für seine heißen Quellen bekannt ist, sehnt er sich nach Ruhe und begegnet dem Tod, der plötzlich rauchend vor ihm sitzt. Schließlich, auf dem Tempelberg Kuyasan, sucht er nach dem Sinn, um am Ende eines rastlosen Sommers doch noch in den Lotussitz zu finden.
Dennis Gastmanns Reiseerzählung ist ein beeindruckendes Porträt eines Landes zwischen Ordnung und Anarchie, Besessenheit und Zen – und ein sehr persönliches Abenteuer: Kann ein „Gaijin“, ein Fremder, eine Kultur verstehen, die ein Fremder gar nicht verstehen kann?

Zur Person: Dennis Gastmann (Jahrgang 1978) war Autor der Satiresendung „extra 3“, bevor er begann, als Auslandsreporter um den Globus zu reisen. 2011 erschien sein vielgelobter Band „Mit 80.000 Fragen um die Welt“, danach wanderte er von Deutschland über die Alpen nach Italien, um seine Sünden zu büßen („Gang nach Canossa“, 2012). Zuletzt erschienen „Geschlossene Gesellschaft“ (2014), eine Exkursion in die Welt der Reichen, und „Atlas der unentdeckten Länder“ (2016), eine Entdeckungsreise zu den letzten unbekannten Orten unserer Erde.

Stefan Niggemeier vom FAZ.net schrieb über ihn: „Gastmann ist ein außergewöhnlicher Reporter, der uns nicht als Wissender, sondern als Fragender durch die Welt führt. Es sind liebevoll komponierte Reportagen aus fremden Welten – die auch gleich nebenan liegen können.“

Und NDR Kultur beschrieb ihn: „Gastmann ist ein brillanter Beobachter, mit einem Hang zu kleinen Bösartigkeiten.“

Video-Trailer

Der Rowohlt-Verlag befragte Gastmann vorab zu seinem neu erschienenen „Reisebericht“:

Rowohlt-Verlag (RV): «Hajimemashite – Schön, Sie kennenzulernen», lieber Dennis Gastmann. Wie geht’s Ihrem Japanisch mittlerweile? In Hakodate auf Hokkaido haben Sie einmal, statt um die Rechnung (o-kanjo) zu bitten, eine Freundin (o-kanojo) bestellt …

Dennis Gastmann: … und mich daraufhin über den seltsam verstörten Blick der Bardame gewundert, während ein Herr an der Theke an einem plötzlichen Asthma-Anfall zu verscheiden schien. Glücklicherweise konnte Natsumi, meine Ehefrau, die Verwirrung mit einem Lächeln klären. Sie ist ohnehin dagegen, dass ich Japanisch lerne. Es sei ihre Geheimsprache, sagte sie mir einmal, in der sie die wirklich wichtigen Dinge mit ihrer japanischen Mutter kläre.

RV: Sie haben Japan mit Ihrer Frau bereist. Als Halbjapanerin scheint Natsumi ein Faible für klare Ansagen zu haben: «Flieg um die Welt, verschwinde, solange wir keine Kinder haben.» Mittlerweile sind Sie stolzer Vater eines kleinen Jungen. Ist es damit um den Reisereporter Dennis G. geschehen?

Dennis Gastmann: Diese Frage stelle ich mir tatsächlich in «Der vorletzte Samurai», ganz heimlich, still und leise, während wir einen Walhai betrachten, der seine Runden im Meeresaquarium von Kagoshima dreht: Ist es um den Abenteurer geschehen, wenn er sesshaft wird? Die Familie, der ultimative Karriereknick? All diese Ängste konnte ich inzwischen besiegen. Natsumi weiß, auf wen sie sich damals eingelassen hat. «Das Abenteuer ist Dein Job», sagt sie. Ihr Ja-Wort war wohl einer der wenigen irrationalen Moment in ihrem Leben. Rational betrachtet hätte sie einen Investment-Banker heiraten sollen.

RV: Natsumi, schreiben Sie, sei das Resultat einer «weltweiten Suche» nach der einen, der einzig richtigen Frau. Die Pointe: Während Sie durch die Welt vagabundierten, lebte Natsumi zur gleichen Zeit in Hamburg, «keine 500 Meter von meiner Wohnung entfernt». Wie konnten Sie sie nur all die Jahre übersehen?

Dennis Gastmann: Aus irgendeinem schicksalhaften Grund müssen wir uns vorher nicht begegnet sein, sonst hätte ich sie niemals übersehen. Stattdessen habe ich überall nach ihr gesucht – in den steinernen Straßen von Taschkent, unter dem Bananenmond von Mangareva in der Südsee oder am Grünen Meer –  dort, wo des nächtens die Dschinn aus den Wellen steigen, auf der Jagd nach einem Beduinenkind. Letztlich habe ich eine Frau gefunden, mit der ich am Frühstückstisch reisen kann. Etwa dann, wenn sie ein Rührei mit Stäbchen quirlt. Das finde ich zauberhaft.

RV: Vom mythischen Fuji heißt es: Wer ihn niemals besteigt, ist ein Dummkopf; wer ihn mehr als einmal besteigt, ist ebenfalls ein Dummkopf. Wie viel Mut gehört dazu, als Honeymooner den mit gut 3.700 Metern höchsten Berg Japans nicht hoch zu kraxeln?Dennis Gastmann: Erfreulicherweise nahm uns der Morgennebel die Entscheidung ab. «Wenn ich den Berg von hier aus nicht sehen kann», sagte Natsumi, während wir mit dem Schnellzug von Tokyo nach Kyoto unterwegs waren, «warum soll ich ihn dann hinaufklettern? Von oben kann ich den Fuji-san doch erst recht nicht sehen!» Das Problem mit dem Schicksalsberg der Japaner ist, dass er um seine Wirkung weiß, also macht er sich rar. Der Fuji-san ist eine Diva, und dennoch wird er in den Sommermonaten von vielen tausend Pilgern bestiegen. Manche sollen von dieser Wallfahrt so überwältigt sein, dass sie im Sonnenaufgang leise weinen. Die japanische Sprache kennt ein geflügeltes Wort, das diese jähe, bittersüße Empfinden beschreibt, wenn sich Euphorie und sanfte Traurigkeit umarmen: mono no aware – Dinge, die das Herz zerreißen.

RV: Manches in Japan hat Sie doch arg irritiert – die Vorstellung etwa, dass Iesu Kirisuto, also Jesus Christus, im Alter von 106 Jahren in Japan friedlich sterben durfte, weil ja nicht er, sondern sein (uns Bibel-Kennern unbekannter) Bruder Isukiri in Judäa für ihn gestorben ist. Anderes hat Sie in helle Begeisterung versetzt, zum Beispiel die japanische Toilette. Warum?

Dennis Gastmann: Weil die japanische Hygiene nicht zwanghaft, sondern überlegen ist. Ich werde nie verstehen, warum Europäer lieber den Straßendreck in der Wohnung verteilen, anstatt Hausschuhe anzuziehen. Und warum sie sich im Bad auf einem Folterstuhl aus Pressspan niederlassen, um ihre intimsten Stellen wenig später mit rauem Papier zu malträtieren. Wenn ich eine japanische Badezimmertür öffne, stellt sich der Toilettendeckel von selbst hoch. Ein Hauch von Wasserdampf steigt auf, der Deckel ist beheizt, und eine «Geräuschprinzessin» übertönt unangenehme Geräusche mit dem Rauschen des Meeres, bevor sich ein kleines Helferlein daran macht, die gewünschten Körperstellen zu reinigen und anschließen zu trocken. So wird aus einer peinlichen Notwendigkeit ein klinischer, nahezu therapeutischer Vorgang. Das alles erleichtert das Scheißen ungemein.

RV: Es ist schon ein dramaturgisch brillanter Kniff: Man muss bis zur vorletzten Seite lesen, um zu verstehen, wer der titelgebende «vorletzte Samurai» ist. Wollen Sie das Geheimnis für unsere Leser*innen hier und heute schon lüften?

Dennis Gastmann: «Dramaturgisch brillant» ist vermutlich vergiftetes Lob, aber Sie haben recht: Jeder normale Lektor hätte mich dazu zwingen müssen, die Bedeutung des Titels bereits auf der ersten Seite zu erklären:  Klarheit, Struktur, Verständlichkeit. Ich bin froh, dass mein Lektor milde mit mir war. Er hat verstanden, dass es hier nicht um den schnellen Gag, sondern wahrlich um ein Geheimnis geht. Es ist das Resümee einer langen Reise, die bereits vor viele Jahren begonnen hat. Wenn ich es jetzt lüften würde, wäre es keines mehr.

RV: Letzte Frage: Die 4 gilt in Japan als gefürchtete Zahl, die Tod und Verderben bringen kann. Wäre eine Verkaufsauflage von mindestens 44.444 Exemplaren für den «Vorletzten Samurai» also ein Unglück?

Dennis Gastmann: Es gab einen Moment auf unserer Reise, irgendwann in einer Tokyoter Nacht, da stand ich mit Natsumi an einem Hotelfenster. Wir blickten hinunter in tausend Neonlichter, ein Gewitter aus Farben, und sie sagte, ich möge bitte alles vergessen, was ich über Japan gelesen hätte, die Handbücher und all die Ratgeber beiseite legen. «Lass das Land doch einfach auf Dich wirken.» Es war der Schlüssel für meine Reiseerzählung. Mit der Zeit verstand ich, dass nicht alles einen Sinn ergeben muss – und dass die vier nicht nur Tod und Verderben, sondern auch großes Glück bedeuten kann.

Quelle: www.rowohlt.de

Die Lesung im Rahmen der 3. Sued-Lese:

Do., 12. April, 20:00 – 21:30 Uhr, in der Bücherhalle Harburg, Eddelbüttelstraße 47A, 21073 Hamburg, Eintritt: 12,- Euro

Der Kartenvorverkauf läuft seit dem 20. Februar bei den Kooperationspartnern Bücherhalle Harburg, Buchhandlung am Sand in der Hölertwiete und in der VHS Harburg.  Den Getränkeausschank übernimmt der EISKELLER.

Die 3. SuedLese 2018 findet vom 1. bis zum 30. April 2018 an völlig unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichsten Themen und Autor*innen statt. Schwerpunkt aber sind die lokalen Literat*innen. Ein ausführliches Programmheft finden Sie ab Mitte März in den verschiedenen Locations der Initiative SuedKultur oder online auf www.sued-kultur.de. Die 3. SuedLese wirdgefördert und unterstützt von der Behörde für Kultur & Medien hamburg, der ALFRED Toepfer-Stiftung F.V.S., der RISE-Stadtteilentwicklung sowie unseren Anzeigenpartnern.

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