Künstlerinnen-Duo erhält Zuschlag für den Gedenkort Stadthaus

Die auserwählte Störung

am Stadthaus -die Störung der neuen Luxuswelt bekommt eine ungeahnte Fortsetzung (Visualisierungen [2] missing icons)

Das Stadthaus: früher Gestapo-Zentrale, heute Luxus-Shoppingmeile. Da fehlt was. Jetzt hat ein Wettbewerb entschieden was.

In der Mitteilung der Behörde für Kultur und Medien heißt es:

„Die Künstlerinnen Ute Vorkoeper und Andrea Knobloch (missing icons) werden mit dem ersten Preis ausgezeichnet

Mit einem deutlichen Denkzeichen im öffentlichen Raum soll künftig unmittelbar vor dem Gedenkort Stadthaus an jene Männer und Frauen erinnert werden, die im Stadthaus zwischen 1933 und 1943 verhört, misshandelt oder ermordet wurden. Das historische Stadthaus war von 1933 bis zu seiner Ausbombung im Sommer 1943 Sitz der Polizeibehörde, des Polizeipräsidiums, der Gestapo sowie der Schutz-, Ordnungs- und Kriminalpolizei. Eine unabhängige Jury hat nun die Hamburger Künstlerinnen Ute Vorkoeper und Andrea Knobloch, die seit 2013 unter dem Namen missing icons gemeinsam arbeiten, mit dem ersten Preis des künstlerischen Wettbewerbs ausgezeichnet. Im nächsten Schritt wird die Realisierung des künstlerischen Entwurfs mit den zuständigen Behörden geprüft.

Der Beirat zur Begleitung der Entwicklung des Geschichtsortes Stadthaus hatte sich dafür ausgesprochen, den Aspekt des Erinnerns und Gedenkens mit einem Denkzeichen in den öffentlichen Raum zu stellen und ihn so 24 Stunden am Tag an sieben Tagen der Woche für alle Hamburgerinnen und Hamburger sowie für Besucherinnen und Besucher unserer Stadt erfahrbar zu machen. Um dieses Denkzeichen zu entwickeln hat die Bürgerschaft 250.000 Euro bewilligt. Die Behörde für Kultur und Medien hat in den letzten Monaten einen künstlerischen Wettbewerb durchgeführt. Von den zwölf eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern hatten elf einen Entwurf eingereicht. Die Entwürfe haben hierzu vielfältige und professionell ausgearbeitete Vorschläge aufgezeigt.

Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Ich freue mich, dass wir den Vorschlag des Beirates so schnell aufgreifen konnten und künftig mit einer sichtbaren und irritierenden Markierung im Stadtraum unmittelbar vor dem Stadthaus eine Störung schaffen können, die niemand wird übersehen können. Die große Zahl der eingereichten Arbeiten und die vielfältigen ausdrucksstarken Ansätze der Künstlerinnen und Künstler unterstreichen die hohe Relevanz dieses Gedenkortes. Vorkoeper und Knobloch haben einen markanten und provozierenden Ansatz gewählt, der hoffentlich bei vielen Passantinnen und Passanten wichtige und notwendige Fragen aufwerfen wird, auf die sie in den Ausstellungen im Geschichtsort und an den Brückenarkaden Antworten erhalten.“

Prof. Johannes Tuchel, Vorsitzender des Preisgerichts und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin: „Das Wettbewerbsergebnis ist ausgezeichnet. Es ist ein guter Zwischenschritt auf dem Weg einer noch intensiveren Beschäftigung mit dem Stadthaus und seiner Geschichte“ 

missing icons (Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper): „Die Entscheidung der Jury erfüllt uns mit Freude und zugleich mit großem Respekt vor dem damit gegebenen Auftrag. Denn wir haben einen nachdrücklichen Eingriff in die Stadtwirklichkeit vorgeschlagen.

Der skulptural-plastische Prozess, das heißt die Zerstörung und anschließende Reparatur des Bürgersteigs vor den Stadthöfen, soll direkt unter den Augen der Öffentlichkeit stattfinden. Das ist eine Herausforderung und eine Zumutung – nicht nur für die Stadt, sondern auch für uns als Künstlerinnen, die diesen Prozess realisieren werden.“

Zum Verfahren:

In einem Interessenbekundungsverfahren wurden zunächst 55 Künstlerinnen und Künstler, aus Vorschlägen von einem Kreis aus Historikern und Kunstsachverständigen zur Wettbewerbsteilnahme aufgefordert. zwölf Künstlerinnen und Künstler wurden aus einem internationalen Teilnehmerfeld hervorgehoben, um anschließend ein Konzept zu entwickeln, das geeignet ist, der Opfer nationalsozialistischer Gewalt in angemessener und zeitgemäßer Weise zu gedenken. Elf Entwürfe wurden letztendlich eingereicht.

Mit dem zweiten Preis wurde Ariel Reichmann mit dem Entwurf „I am (not) safe“ ausgezeichnet.

Eine Anerkennung wurde für den Entwurf von Horst Hoheisel und Andreas Knitz „Fähre der Erinnerung“ vergeben.

Die Behörde für Kultur und Medien wird nun mit den Genehmigungsbehörden in die Abstimmung zur Realisierung des Entwurfs von missing icons gehen.

Mehr Infos zu den Künstlerinnen unter: http://missingicons.de

Quelle: www.hamburg.de/bkm

Zu missing icons

2017 gründeten Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper das Label missing icons, das sie seit 2013 durch Beteiligungen an Kunst-am-Bau-Wettbewerben, Ausstellungen und Kunstprojekten im öffentlichen Raum entwickelt haben. 2017 realisierten sie das Wandreliefbild „Anomalia (Black Hole)“ an der Technischen Hochschule in Regensburg. In 2018/19 inszenieren sie mit „Rolihlahla | Troublemaker | Unruhestifter“ einen Rohdiamanten auf dem Nelson-Mandela-Platz in Nürnberg.

Missing icons öffnen das Wirklichkeitsgefüge durch bildlich-politisches Handeln und verbleiben als Reliefs und Schwellen, Zwischendimensionen von Bild, Schrift, Objekt und Raum. In ihnen klappt Wirklichkeit temporär oder – vorzugsweise – dauerhaft auf. Sie wird ein- oder ausgefaltet und zeigt sich unerwartet in ihrer komplexen Dichte und Ambivalenz. Es entstehen poetische Bilddenkräume, die ästhetisch verführen und theoretisch verstören. Oder umgekehrt, je nach Perspektive.

Statement

„Kunstmachen bedeutet für uns die sinnfällige Verknüpfung von ästhetischer Präzision, theoretischer Besinnung und politischer Differenzierung. Die dabei entstehenden Bildformen bezeichnen wir als „missing icons“ = bislang fehlende, verdrängte, verschwundene oder ausstehende Bilder, die wirken und andauern. In ihnen bearbeiten wir latente Motive und Vorstellungen, über die gesellschaftlich bedeutsame Konflikte treffend erfahren werden können. Als raumbezogene Reliefs, Schwellen und Passagen changieren sie zwischen Dimensionen und entfalten schmerzhaft-schöne Wahrnehmungs- und Denkfelder. Sie sind ästhetisch verlockend und theoretisch verwickelt, poetisch deutbar und politisch bewegend.

Ein Entwurf von missing icons für einen Konferenzraum des Bundesinnenministeriums: innere Sicherheit

Obwohl in der globalisierten Welt erkennbar alles mit allem verflochten und wechselbedingt ist, es weder realräumlich noch ideell eindeutige oder richtige Positionen geben kann, beharren die meisten politischen und weltanschaulichen Parteien auf schlichte Opposition, Identität und Ideologie. Der Kampf um die Deutung und Konstruktion der Welt eskaliert und die eigene Weltdeutung wird zunehmend ideologisch totalitär – oder mit brutaler Gewalt durchgesetzt.“

missing icons entziehen sich ideologischer Schließung. Sie verwehren Belehrung. Sie ziehen auf Abwege, nötigen zum Sprung aus der vorgespurten Bahn. Sie öffnen Bild-Zeit-Räume, in denen, wenn sie zünden, die Komplexität und Ambivalenz der Wirklichkeit, die nicht-eigene Meinung, das Fremde, Unerwünschte bis hin zum blind Verhassten, anders ausgehalten, gehört, gesehen und gedacht werden können. Auf eine Zukunft hin.

Weiterführend: missingicons.de

 

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