Interview mit der nun ausgezeichneten Harburger Autorin Heide-Marie Preuß:

Ein Standpunkt, der bewegt

Modern aufgemacht, thematisch zeitlos: "Hier stehe ich". (Grafik: S. Schnell)

Sie hat immer schon von ihrer Tochter und sich erzählt. Nun hat sie es auch aufgeschrieben und fiel gleich einem literarischen Projekt auf. Ein Interview.

Autorin Heide-Marie Preuß nennt sich Mary, weil dies auf etlichen Auslandsreisen der einfachere Weg war, sich vorzustellen. Sie ist pensionierte Schulleiterin und besucht regelmäßig die Schreibwerkstatt unter der Leitung von Kerstin Brockmann. Von ihr erfuhr Mary von einer Ausschreibung, die ihr Interesse weckte.

Die Katholische Kirche Wiesbaden hatte dieses Jahr ein Projekt angestoßen: „Hier stehe ich!“ – Standpunkte, die bewegen – Aus Sprache – Aus Tausch – Aus Bilden“. Es ging bei dem Projekt um aktuelle Kunst und Literatur. Das vorgegebene Thema WORTE AUS DER ZUMUTUNG GOTTES sollte zum 500. Jahrestag des Beginns der Reformation eine lebendige Debatte mit den Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache eröffnen. Ihre Geschichte mit dem Titel „In diesem Jahr werden wir hundert“ wurde unter mehr als 220 Einsendungen von der Jury ausgewählt, um in einer Anthologie veröffentlicht zu werden, die im Eigenverlag der katholischen Erwachsenenbildung Wiesbaden erschien.

Ich kenne und schätze Marys Schreibstil und möchte die Gelegenheit nutzen, um sie dem Umfeld von SuedKultur vorzustellen und ihre Werke zu empfehlen. Sie verknüpft persönliches Erleben mit den großen Themen des Lebens. Ihre Erzählungen sind besinnlich, nachdenklich und berührend.

Tiefgang (TG): Liebe Mary, erst einmal gratuliere ich dir zu deinem Erfolg! Man sieht dir an, wie stolz du bist, dass deine Geschichte es schaffte, die Jury zu überzeugen. Warst du sehr überrascht?

Mary: Zwischen dem Abgabetermin und der Nachricht, dass meine Geschichte zur Veröffentlichung ausgewählt wurde, lagen Wochen – gefühlt sogar Monate; Ich hatte schon gar nicht mehr daran gedacht und plötzlich kam die Mail und meine Freude war riesengroß.

TG: Was war dein Beweggrund, an der Ausschreibung der Katholischen Kirche teilzunehmen? Bist du sehr religiös? Oder war es der Titel, der dich ansprach?

Mary: Ich bin getauft, konfirmiert und meine Kinder sind es auch. Mit zunehmendem Alter denke ich über so vieles anders, auch über den Glauben. Bin ich „religiös“? Da müsste ich wohl noch einige Schritte gehen. Es war der Titel „Worte aus der Zumutung Gottes“, der mir nachgegangen ist und mit dem ich zunächst, als Kerstin ihn vorgelesen hat, überhaupt nichts anfangen konnte. Ausgeschrieben wurde der Wettbewerb von der Katholischen Erwachsenen Bildung Wiesbaden zum Reformationsjahr 2017 „Hier stehe ich!…- Standpunkte, die bewegen“, aktuelle Kunst und Literatur.

TG: Warst du dir gleich sicher, welche Geschichte du erzählen willst?

Mary: Ja, meine,  das heißt: unsere!

TG: Die Geschichte „In diesem Jahr werden wir hundert“ ist nicht frei erfunden, sondern autobiografisch. Du schreibst sehr offen und authentisch über dein Kind, das anders ist als andere und dich vor manche Herausforderung stellte.

Mary: Wenn ich wildfremden Menschen auf Reisen oder wo auch immer, von mir und meiner Tochter erzählt habe, bekam ich als Antwort: Das müssen Sie unbedingt einmal aufschreiben! Meine Tochter war und ist ein sehr hübsches Mädchen. Wir haben in den ersten drei Jahren ihre Behinderung nicht gesehen oder nicht sehen wollen. Als sich ihre Sprache nicht wie bei anderen Kindern entwickelte, war ich noch jahrelang der Meinung, ich würde es hinkriegen mit ihr, mit dem Sprechen. Ich hatte ja Erfahrung, wie man auf Kinder eingeht, die sich nicht altersgemäß entwickeln, und Nichtvorhandenes hervor kitzeln kann. Außerdem war ich zu der Zeit Lehrerin in einer Integrationsklasse und kannte mich mit speziellen Therapien gut aus.

TG: Wie erging es dir beim Schreiben? Welche Erinnerungen, Gedanken und Gefühle wurden dabei ausgelöst?

„Mary“ Preuß (Foto: S. Alphonso)

Mary: Es geht mir glaube ich nicht viel anders, als anderen Müttern auch, die Bilder sind im Kopf gespeichert. Ich habe zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, meine Tochter ist behindert, Ich wollte eigentlich sagen, wenn man sich die Zeit nimmt, ist alles sehr präsent und ein Film spult sich ab, über meinen Sohn könnte ich auch schreiben, das war aber nicht das Thema.

TG: Gab es neue Aspekte, die du dir erst durch den Schreibprozess erschlossen hast?

Mary: Das Schönste war das Gefühl, dass wir beide, meine Tochter und ich, es so gut miteinander hingekriegt haben und ich am Ende sehr viel von ihr gelernt habe.

TG: Könntest du dir vorstellen, ein ganzes Buch zu verfassen und darin eure Geschichte aufzuschreiben?

Mary: Ich war durch die Nachricht so in Schwung, dass ich tatsächlich ein Buch über uns geschrieben habe. Ich habe es auch bereits einem Verlag angeboten und eine Absage erhalten: „Wir haben schon ein Buch über eine Behinderte.“ Die Antwort spiegelt für mich den Umgang mit Inklusion, letztendlich will keiner so gerne etwas damit zu tun haben, schade!

TG: Dies war schon dein zweiter Erfolg. Eine Geschichte von dir wurde zuvor schon in eine Anthologie aufgenommen. Was war das für ein Thema?

Mary: Das waren die Wilhelmsburger Geschichten, herausgegeben von der Edmund Siemens Stiftung. Ganz liebevoll gestaltet, mein Schreibanfang und eine wunderbare Erfahrung.

TG: Soviel zu Schreibwettbewerben, Ruhm und Ehre und. Doch was bedeutet dir persönlich das Schreiben? Was ist dein Hauptbeweggrund?

Mary: Ich habe meine Berufsjahre jetzt hinter mir, gestalte mein Leben neu, bin vor allem im Winter mit dem Rucksack in Asien unterwegs, flaniere und schreibe, das ist jetzt mein Leben, das macht mir Spaß.

TG: Und mich bewegen deine Geschichten. Vor allem, wenn du sie selber liest. Ich freue mich auf weitere Werke! Vielen Dank für dieses Interview!

Epilog: Ich kann nur empfehlen, Augen und Ohren offen zu halten, wo und wann die Autorin zu hören sein wird. Mit etwas Glück wird man sie im Programmheft der SuedLese 2018 finden.

(Das Interview für ´Tiefgang` führte Sonja Alphonso.)

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