Die Harburger Künstlerin Ulrike Burbach zum Umgang mit Kreativität:

„Kaufen Sie! Mehr Kunst!“

Wie steht es um die Kunst fernab der großen Stars? Haben wir eine Überproduktion oder reicht die Qualität einfach nicht? Unsere Autorin sagt: Gutes gibt es mehr als genug. Sie müssen nur hinschauen.

Meine kleine Betrachtung dieses großen Themas „Kunst“ erhebt keinerlei Anspruch auf eine Vollständigkeit. Dieser Text enthält nur einige – sehr subjektive – Überlegungen, die meinem emotional – intuitiven Zugang zu verschiedenen Kunstgattungen – gemeint ist aber hier vor allem die Bildende Kunst – entsprechen. Angereichert allerdings mit einigen theoretischen Gedanken, die den Gegenstand der Betrachtung ein wenig unterfüttern helfen sollen.

Dieses Thema wurde für mich zum Thema, weil ich mich selbst im Heer der heutigen Kunstschaffenden bewege, was mir verschiedene Beobachtungen erlaubte. Nach meiner Auffassung gab es eine Veränderung im Umgang mit Kunst und Kreativität zum Ende des 20. Jahrhunderts hin. Man könnte diese Wandlung als einen Demokratisierungsprozess beschreiben, den die Kunst durchlaufen hat um heutzutage mit viel mehr und viel unterschiedlicheren Menschen in Verbindung zu stehen als früher. Dabei meine ich mit „früher“ die Zeit vor der Wende, also das Ende der 80er Jahre. Damals, nach dem Zusammenbruch der DDR, wandelte sich etwas an der Lebensform der Menschen in Deutschland und dies wirkte sich stark auf die „Kunstproduktion“ aus.

Das künstlerische „Fußvolk“

Wohl die wenigsten Menschen reifen bis zum großen Künstler. Daran hat sich bis heute nicht wirklich etwas geändert. Diese allerdings sollen nicht Gegenstand meiner Betrachtung sein; ihnen widerfährt bereits auf andere Weise einige Aufmerksamkeit. Mein Interesse gilt viel eher dem künstlerischen „Fußvolk“ und zwar allein schon deswegen, weil es in einer solchen Masse auftritt, dass man über dieses Phänomen nicht einfach mehr hinwegsehen kann. Heutzutage geraten viel mehr Menschen mit der Kunst in irgendeiner Form in Kontakt, und das liegt an den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen.

Weil das Leben in früheren Zeiten oft von längerer, härterer, oft auf körperlicher Arbeit bestimmt war, gab es wenig Muße und Freiräume für schöne Beschäftigungen. Diese wurden höchstens zu besonderen Anlässen gepflegt wie die Hausmusik an Wochenenden oder Feiertagen. Oft fehlte es auch an Geld für Unterricht und Materialien; Bildung insgesamt besaß einen anderen Stellenwert, sodass ein Zugang zu künstlerischen Interessen oft nicht so einfach gefunden werden konnte. Kunst und Kultur blieben ein exklusives Gut, das reserviert war für diejenigen, die in jeder Hinsicht genug besaßen, um sich diesen Luxus leisten zu können. All das hat sich im Laufe vieler Jahre geändert: Bildung, Geld und Zeit sind nun vorhanden. Zudem hat die Erwerbsarbeit einen Teil ihres unbedingten Sinnes verloren, sodass der fehlende Sinn in anderen Beschäftigungen gesucht wird. Volkshochschulkurse, private Malschulen und Unterricht bei Künstlern verschaffen vielfältige Möglichkeiten, sich mit Bildender Kunst zu befassen. Auch durch verschiedene Therapieangebote, die in schwierigen Lebenslagen offenstehen, bekommt so Mancher eine Anregung, sich in kreativen Tätigkeiten zu versuchen.

Kunst als Beruf?

Die mannigfache Beschäftigung damit erzeugt eine Flut von Kunstproduktionen verschiedenster Art und Qualität. Deswegen stellt sich zeitweilig die Frage, was damit geschehen soll, wer all diese Produkte wahrnehmen kann und wie sie gewürdigt werden sollen. Natürlich stehen nicht diejenigen, die ausschließlich zum eigenen Vergnügen malen, vor diesem Problem. Aber für alle anderen, die einen Schritt weiter gegangen sind, denen die Malerei zu einer ernsthaften Lebensangelegenheit wurde und die ihre Produktionen in irgendeiner Form präsentiert und anerkannt wissen möchten, ist diese Frage von zentraler Bedeutung. Gibt es irgendeinen Markt für die vielen heutigen Kunsttätigen?

Der evangelische Kunstexperte Johann Hinrich Claussen hat sich dieser Fragestellung in einem ZEIT – Artikel angenommen. Er bezieht sich dabei aber nur auf die Kunsthochschulabsolventen, die ja nur einen Teil der Betroffenen ausmachen. Allein unter denjenigen, die einen Hochschulabschluss haben, können lediglich 3% die Kunst zu ihrem Beruf machen, schätzt er, für alle andern bliebe sie lediglich eine Privatleidenschaft und somit eine Freizeitangelegenheit. Die meisten Studenten fänden keinen Zugang zum Kunstmarkt, denn der sei bereits gesättigt. Doch sei es nicht unbedingt die mangelnde Qualität ihrer Produktionen, die diesen Zugang verhindere.

Sie haben die Macht!

Und hier, an dieser Stelle, kommen Sie, lieber Leser dieses Artikels, ins Spiel!

Wahrscheinlich denken Sie, wenn es nicht einmal die Kunststudenten schaffen, dann lohne sich der Aufwand gar nicht: ohne eine richtige Ausbildung und das richtige Zertifikat habe so ein Möchtegern-Künstler gar nichts zu bieten! Dies kann ein großer Irrtum sein! Ideen finden sich manchmal auch noch in der kleinsten Hütte. Sie, lieber Leser, haben die Macht, an dieser quälenden Situation vieler Kunstschaffender etwas zu verändern. Es sind nicht nur die großen Museen und Galerien, die Sehenswertes zu bieten haben. Auch in einer kleinen, von der allgemeinen Aufmerksamkeit nur wenig bedachten Ausstellung können Sie bemerkenswerte Bilder finden, deren Anschaffung – übrigens einer Anschaffung um ihrer selbst willen, die keinerlei Spekulation dient – auch den kleineren Geldbeutel nicht übermäßig strapaziert. Kaufen Sie mehr Kunst!

Dann hängt an ihrer Wand ein wirkliches Unikat, das Sie tagtäglich bewundern, mit dem Sie in eine lange, fruchtbare Beziehung treten können. Es gibt so viel Kunst, nutzen Sie diese großartige Chance, etwas davon zu erleben und vielleicht auch zu erwerben. Doch wie in der angebotenen Vielfalt die Spreu vom Weizen trennen? Dazu ist es notwendig, abseits vom Expertenwissen, dem eigenen Geschmack vertrauen zu lernen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Ein gewisses Interesse an der Malerei muss als Voraussetzung allerdings vorhanden sein. Die meisten Menschen werden zunächst eine vor allem emotionale Verbindung zur Kunst suchen und daran ist nichts Verwerfliches. Sie stellen vielleicht fest, dass auch ein Bild der „kleinen“ Kunst imstande ist, sie zu berühren, etwas in ihnen auszulösen, sei es nun Zustimmung oder Ablehnung. Mit der Anzahl der betrachteten Gemälde wächst auch die Erfahrung, sodass sie jetzt möglicherweise anfangen, Fragen zu stellen: was ist ihnen selbst wichtig an einem Bild, unabhängig davon, was Kunstkenner und –kritiker meinen. Und dann den Mut entwickeln, zu der eigenen Entscheidung zu stehen. In meinen Kindermalkursen sind einige Bilder entstanden, die mich in Form und Ausdruck spontan überzeugten. In meinen Augen waren dies kleine Kunstwerke, ohne, dass vermutlich je ein Kunstsachverständiger diese zu Gesicht bekommen und als solche autorisieren wird.

Die „zwecklose“ Kunst

Wen die eigene Ratlosigkeit jedoch angesichts der dargebotenen Fülle zu sehr verwirrt, mag etwas Philosophie, Kunsttheorie o.ä. hinzuziehen. Dort kann man manchmal erhellende und die eigenen Eindrücke ordnende Gedanken finden. Als kleines Beispiel für die riesige Gedankenwelt über Kunst möchte ich hier Dieter Wellershoff zitieren, einen deutschen Schriftsteller, der darüber nachdachte, was ein wirkliches Kunstwerk ausmachen könnte. Auch wenn Wellershoff Schriftsteller war, sind die Thesen, auf die ich mich hier beziehe, doch so allgemein formuliert, dass sie auf Werke anderer Kunstgattungen anwendbar erscheinen; zumal er über „Kunstwerke“ redet und nicht bloß Romane erwähnt. Wellershoff meint, ein Kunstwerk solle eine Bedeutung haben und gleichzeitig „zwecklos“ sein im Sinne von: nicht für einen bestimmten, z. Bsp. politischen oder gesellschaftlichen Zweck einsetzbar. Er glaubt, dass Kunst sich nicht von gesellschaftlichen Interessen vereinnahmen lassen dürfe und fordert eine ästhetische Distanz, d.h. eine Form des Kunstwerks, in der es die Wirklichkeit darstellt, nicht übernimmt. Auf diese Weise entwickle das Kunstwerk eine Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit, sodass es nicht auf eine eindeutige Aussage reduziert werden könne. Eine Kunstproduktion solle neue und originelle Gedanken und Standpunkte beinhalten und den Betrachter zu einer Stellungnahme herausfordern. Wir müssen Wellershoff als einem Experten auf dem Gebiet der Kunst nicht in jeder Einzelheit folgen, zumal wir uns hier um die „kleine“ Kunst bemühen, deren Ansprüche möglicherweise etwas anders gelagert sind. Doch glaube ich, dass seine Thesen Anregungen liefern können, um einen eigenen Standpunkt zu erreichen oder weiterzuentwickeln. Einen Standpunkt, der es Ihnen ermöglicht, die künstlerischen Produktionen, auf die Sie treffen, etwas besser in Ihrem Sinne beurteilen zu können und sich nicht nur von den ganz großen Namen beeindrucken lassen zu müssen.

Die Frage der Relevanz

Wenn Sie also ein gelungenes und überzeugendes Bild finden, treten Sie mit seinem Produzenten in Kontakt. Informieren Sie sich über seine Arbeit. Früher war ein Künstler eine Person, die allgemein anerkannte Werke schuf und sich oft außerhalb gesellschaftlicher Regeln und Konventionen aufhielt. Heutzutage gelten solche Maßstäbe nicht mehr ohne Weiteres, denn inzwischen wissen wir, dass in jedem von uns ein kreatives Potenzial steckt. Einige von uns nutzen dies künstlerisch und eine gewisse systematische Beschäftigung mit der Materie, ein angemessenes Wissen über das eigene Tun und eine bestimmte Ernsthaftigkeit in der Arbeit zeichnen den heutigen Künstler in meinen Augen als solchen aus. Vielleicht haben auch Sie den provokanten Satz von der Bedeutungslosigkeit der heutigen Kunst gehört. Zwar sind viele Theater, Museen und Konzerte gut besucht, doch was könnte diese Aussage meinen? Dass die Welt in heutiger Zeit vielleicht zu „voll“ geworden sei, um eine Bedeutung überhaupt noch wahrnehmen zu können? Denn in einer Zeit, als die Welt noch „leerer“ war, leerer an Menschen, an Künstlern, an Dingen, die ständig verfügbar sind und unsere Aufmerksamkeit wollen; zu einer Zeit, als die Menschen notgedrungen mehr auf sich selbst zurückgeworfen waren, da konnte man in dieser „Leere“ eine mögliche Bedeutung vielleicht noch eher bemerken. Dies hat sich mittlerweile sehr geändert.

Alte Pfade verlassen …

Auch scheint die Kunst heute viel eher ins ganze „System“, in die Gesellschaft integriert zu sein. Läuft Kunst nicht auch auf diese Weise Gefahr, an Bedeutung zu verlieren und gelegentlich zu einem hübschen Ornament zu verkommen, selbst wenn sie in schrillster oder sogar abstoßender Form auftritt?

Wenn wir dies alles berücksichtigen, dann können wir den Blick vielleicht auf die „Graswurzelrevolution“ unter den Künstlern lenken. Den kleinen, weniger bekannten Kunstschaffenden, die z.T. auf „überkommene“ Traditionen zurückgreifen und diese in neue Zusammenhänge stellen. Die in einer zunehmend aggressiveren und schrilleren Welt ein paar zurückhaltendere, harmonischere Töne anschlagen und damit ein Gegenbild entwerfen. Die außerhalb der großen Kulturmaschinerie stehen und eine leise Originalität zeigen. Die den Weg für das Ziel halten und sich damit ohne, dass es möglicherweise bewusst ist, der japanischen Kunsttradition annähern, deren Künstler eine Harmonie suchten sowohl zur sozialen Umwelt wie auch zur Natur.

War dieses Plädoyer nun umfassend und überzeugend genug, Sie dazu anzuregen, die alten Kunstpfade gelegentlich zu verlassen und sich auf neue und unbekannte zu wagen? Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Ausflüge, denn diese Zeit wird Ihnen zeigen, was letztlich für Sie von Bedeutung ist. Und das kann durchaus das Werk eines kleinen Künstlers von nebenan sein.

Zur Autorin:

Ulrike Burbach wurde 1962 in Duisburg geboren, studierte Germanistik / Politik / Philosophie in Duisburg und Hamburg, arbeitete zeitweilig beim Feuilleton des „Hamburger Abendblattes“ und geht verschiedenen ehrenamtlichen Tätigkeiten nach wie der Unterstützung migrantischer Jugendlicher im Fach Deutsch, Leitung eines Treffpunktes für hochbegabte Frauen und verschiedenen Versuchen, Kunstschaffende miteinander auf persönliche Art zu vernetzen. Als Freie Kunstschaffende ist sie in den Bereichen Tanz, Malerei, Schreiberei tätig und vielen bekannt durch Auftritte, Ausstellungen und Lesungen. 

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