3falt: eine Chance für Baukunst, Bezirk und Bürger*Innen

Kunst oder kann das weg?

Während die einen Raum für Kunst und Kultur einfordern, stehen anderswo Kirchen leer. Eine Chance, die in NRW bereits erkannt wurde.

SuedKultur ist dabei, die ehemalige Dreifaltigkeitskirche in Harburgs Neuer Straße 44 auf eine kulturelle Neunutzung hin auszuloten. Und bei Recherchen entdeckt man immer wieder Neues und Überraschendes. Denn Kirchen sind überwiegend architektonisch wertvolle Bauwerke. Regelrechte Baukunst zuweilen. Die meisten stehen an zentralen Orten, denn oft kam erst die Kirche und dann entwickelte sich die „Gemeinde“ um die Turmspitze.

Nun stehen viele Gotteshäuser leer und vor der „Abwicklung“, wie es betriebswirtschaftlich so nüchtern genannt wird. Damit können oft auch Räume verloren gehen, die sozialen Zwecken dienten und im Grunde weiterhin dienen können. Nach Umfragen sagen viele Menschen – ganz gleich ob religiös oder nicht -, dass eine Kirche etwa ein Ort der Ruhe ist. In der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung gilt das Kirchenschwinden oft noch als Randproblem einzelner Pfarreien. Dabei ist das Thema oft schon direkt in der Nachbarschaft angekommen. Wirkliche Aufschreie über die Gemeinden hinaus gibt es in der Regel aber erst, wenn die Abrissbirne droht. Dann ist es oft zu spät, das wissen auch Architekten und Stadtplaner.

„Kirchen sind teils architektonisch überdurchschnittlich wertvolle Bauwerke, und mit abgewickelten Gotteshäusern gehen auch Räume verloren, die sozialen Zwecken dienen. In manchen Großstadt-Quartieren sind dies die einzigen Räume, die eine soziale Funktion haben“, sagt etwa Tim Rieniets, Geschäftsführer von StadtBauKultur NRW, warum der Erhalt von Kirchen wichtig ist. Dort wurde vor einigen Jahren eine Studie und Bestandsaufnahme leerstehender Kirchen vorgenommen, um sich dem Thema mit Struktur und System anzunähern. Denn es werden immer mehr Kirchen, die nicht nur leer stehen sondern den Gemeinden zur finanziellen Last werden. Auf der anderen Seite ist in vielen urbanen Räumen Bauen teuer geworden, Platz rar. Wie kann man dies also miteinander verbinden?

StadtBauKultur NRW erstellt derzeit in enger Abstimmung mit der Architektenkammer, der Ingenieurkammer-Bau sowie den Bistümern und Landeskirchen eine Informations- und Beratungsplattform. Denn: „Wir haben festgestellt, dass in vielen Fällen in den Gemeinden Leute mit solchen Entscheidungen konfrontiert sind, die nicht die entsprechenden Kompetenzen haben. Da kommt es vor, dass im frühen Stadium falsche Entscheidungen getroffen werden“, so Tim Rieniets. Und weiter stellt er fest, dass bei der Nachnutzung Deutschland noch am Anfang steht: „Ich glaube, dass wir andere Konzepte brauchen. Dass irgendjemand viel Geld investiert, um diese Bauwerke zu erhalten, ist derzeit nicht zu erwarten. Darum besteht die große Kunst darin, intelligente und innovative Nachnutzungskonzepte zu finden. Aber das reicht leider nicht. Darum muss sich die Gesellschaft fragen, was ihr die Kirchen eigentlich wert sind. Ich würde mir wünschen, dass die öffentliche Hand zumindest Hilfestellung gibt.“

Ein gutes Beispiel aus diesem Gesamt-Prozess in NRW ist etwa das heutige Musikforum Bochum. Es gehört für die Ruhrgebietsstadt zu den spannendsten städtebaulichen Maßnahmen, die in den letzten Jahren realisiert wurden. Aus dem lang gehegten Wunsch, den Bochumer Symphonikern eine eigene Spielstätte, eine Heimat in unserer Stadt zu schaffen, entwickelte sich die Idee einer außergewöhnlichen Kooperation: ein Musikforum im aufstrebenden ViktoriaQuartier, gemeinsam genutzt vom virtuosen Spitzenorchester und der breit aufgestellten Musikschule der Stadt. In der kreativen Einheit von Musikpräsentation und Musikvermittlung werden völlig neue, spannende Wege möglich, Kultur und Musik zu erfahren, zu gestalten und zu genießen.
Das Musikforum ist nun Probe- und Spielstätte der Bochumer Symphoniker, des Jugendsinfonieorchesters und der 80 Ensembles der Musikschule – und noch viel mehr: Es ist ein Ort der Begegnung, ein Ort des kulturellen Austausches für alle Bochumer Bürger geworden. Von der Lesung bis zum Kammerkonzert, von der Ausstellung bis zum Poetry Slam, vom großen Symphoniekonzert bis zum offenen Singen – das Musikforum ist kultureller Treffpunkt im Herzen der Stadt, unweit des bekannten „Bermuda-Dreiecks“.

So ähnlich stellt sich die Situation bei der ehemaligen Dreifaltigkeitskirche dar. Einst war sie die Haupt-Kirche von Harburg-Wilhelmsburg, nach dem sich Harburg im 17. Jahrhundert aus dem Hafen herausentwickelte und sein neues Zentrum eben in der „Neuen“ Straße und dem noch heute als Marktplatz aktiven Sand besiedelte. Nach ihrer Zerstörung 1944 wurde sie dann in den 60er Jahren neu aufgebaut. Und das vom Architekten-Ehepaar Ingeborg und Friedrich Spengelin. Und das ist durchaus Baukunst, wenngleich viele Menschen die Sachlichkeit und den sparsamen Einsatz jener Zeit wenig würdigen. Neben dem Harburger Kirchenbau und einigen weiteren Wohngebäuden etwa im Schüssler Weg baute er auch das Gebäude des NDRs oder auch des einstigen Bonner Bahnhofs-Vorplatzes. Erst vor wenigen Jahren, im April 2016, verstarb er.

Entscheidend aber ist: sie liegt zentral, kann Hafen und Harburger Innenstadt durch Inhalte verbinden, Ort der Identität durch Kultur, Kunst und Kreativität werden. Eine seltene Chance.

 

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