Wie die Kunst bei der Heilung helfen kann:

Narzisstische Mütter

Ulrike Hinrichs - "Teddy"

Wie wirkt sich Narzissmus in der Erziehung aus und können die (selbst-)zerstörerischen Folgen überwunden werden? Ein Gastbeitrag von Ulrike Hinrichs

Menschen mit einer narzisstischen Störung haben oft eine belastende Kindheit erlebt und ihren Verletzungen abgespalten. Narzissmus ist eine so genannte Spektrumsstörung, die graduellen Ausprägungen sind unterschiedlich. Mit diesem Beitrag möchte ich den Einfluss narzisstischer Mütter auf ihre Töchter erläutern und kreative Impulse aus dem zerstörerischen Erbe geben. Dabei geht es nicht um eine Anklage der Mütter, sondern um unterstützende Hilfe für Töchter.

Narzisstischer Mütter haben auf ihre Töchter einen stark schädigenden Einfluss, worunter die Kinder oft Zeit ihres Lebens leiden. Narzisstische Mütter kompensieren ihr geringes Selbstwertgefühl mit Selbstüberschätzung und Allmachtsphantasien. Sie werten Menschen ab und sich damit auf. Sie bewerten, kontrollieren, manipulieren, sind neidisch und gehen in Konkurrenz mit ihren Töchtern. Narzissten beachten keine Grenzen. Und vor allem sind sie kaum zur Empathie fähig. Narzissten können sich nicht in Menschen einfühlen, weil sie tief im inneren einen Mangel verspüren, einen unstillbaren Hunger, wie es die amerikanische Psychotherapeutin Susan Forward beschreibt. Diese Leere kann nicht gefüllt werden.

Forward findet eine beeindruckende Metapher zu den „Hungergeistern“ aus der asiatischen Mythologie, „Geschöpfe mit übermäßigen Bäuchen, die sich danach sehnen, ihren Hunger zu stillen, aber mit den winzigen Mündern und dünnen Hälsen, niemals satt werden.“ [1] Daher greifen Narzissten zu rabiaten Mitteln, um den Selbstwert aufzuwerten. Sie werten andere ab, beleidigen und zerstören. Töchter erfahren als Spiegel der Mutter eine besondere Behandlung. Oft werden die eigenen unreflektierten Schatten der Mutter auf die Tochter projiziert. Die Wunden des mütterlich-narzisstischen Verhaltens führen zu vergifteten Wurzeln. Sie stecken wie ein hartnäckiges Unkraut tief im Inneren fest.

Als Kunsttherapeutin glaube ich an die unterstützende Kraft des künstlerischen Ausdrucks, der Unaussprechliches zeigen und neue Impulse in alte Muster bringen kann. Der künstlerisch-kreative Prozess kann Frauen intuitiv unterstützen, die toxischen Botschaften und Verletzungen an die Luft zu bringen, damit die Wunden überhaupt erst einmal offen gelegt werden und vernarben können. Denn eines der schwersten Folgen einer narzisstischen Erziehung ist, dass man sich selbst nicht mehr fühlt und seinen Wahrnehmungen nicht vertraut.

Ein Dilemma für narzisstische Töchter besteht darin, dass die Familie nach außen oft stabil erscheint, zwischen Mutter und Tochter aber keine kongruente Kommunikation stattfindet. Es besteht keine Resonanzbeziehung, kein authentisches in Kontakt sein, kein Aufeinanderbezogensein.[2] Resonanz impliziert Verletzlichkeit, die Fähigkeit sich verletzlich zu machen.[3] Dies ist für Narzissten aber gerade nicht möglich. Es bedarf für narzisstische Persönlichkeiten eines hohen Maßes an Kontrolle ihrer eigenen Gefühle und der Gefühle ihrer Kinder, um ihr kreiertes Selbst- und Familienbild aufrechtzuerhalten. Alles muss perfekt sein, Fehler sind unbedingt zu vermeiden. Es bestehe zudem die stillschweigende Übereinkunft, dass über diese narzisstische Familiendynamik nicht diskutiert, geschweigen denn etwas nach außen getragen wird, so die Psychotherapeutin Mc Bride, die den Vergleich zum wunderschönen Apfel findet, der äußerlich perfekt, aber innerlich verwurmt ist.[4]

Ausschnitt Hungergeist -Ulrike Hinrichs

Töchter narzisstischer Mütter lernen sehr schnell, ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken und richten sich stattdessen nach den Befindlichkeiten der Mutter. Es gibt für narzisstische Töchter keine Möglichkeit der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit, sie agieren wie ein ferngesteuertes Spielzeug, wie eine Marionette. Sie funktionieren so gut wie möglich, in der Hoffnung auf diese Weise der Ablehnung der Mutter zu entgehen. Aber sie werden die Anerkennung der Mutter niemals erreichen können. Die Tochter lernt, ihren eigenen Gefühlen und Fähigkeiten nicht mehr zu vertrauen. Das ist ein schleichender, toxischer Prozess.

Nazistische Mütter agieren lieblos, teilweise sogar brutal. Wenn ich als kleines Mädchen geweint und Trost gesucht habe, dann hörte ich von meiner Mutter regelmäßig scharftonige Sätze wie „stell dich nicht so an“ oder „reiß dich mal zusammen“. Es gab keinen Trost und keine Umarmungen. Statt „ich hab dich lieb“ sagte sie „mit dir hält es sowieso niemand aus“. Das Verhalten der Mütter ist empathielos. Fehlendes Mitgefühl ist eine der Hauptmerkmale von Narzissmus. Denn narzisstische Mütter müssten dafür in Resonanz mit den eigenen Gefühlen gehen, was sie aufgrund ihrer eigenen Verletzungen nicht können.

Ich erinnere mich an mein Haustier, meine Schildkröte, die ich sehr geliebt habe. Sie war meine Verbündete, mein Trostspender. Meine Mutter hat das Tier nach dem Tod in der Mülltonne entsorgt und mir das lachend erzählt. Viele Betroffene berichten ähnliche Geschichten. Diese emotionale Brutalität in Wort und Tat ist für Kinder kaum auszuhalten. Sie fühlen sich schuldig und ohnmächtig. Wegen ihrer Abhängigkeit von der Mutter kommt es zu Unsicherheits- und Ohnmachtsgefühlen bis hin zu Todesängsten, da die Kinder fürchten wegen ihres vermeintlichen Fehlverhaltens verlassen zu werden. Die narzisstische Mutter betrachtet und gestaltet ihre Tochter als gleichgeschlechtliches Abbild, als ihr erweitertes Selbst.

Solange die Tochter sich dem Wunschbild der Mutter entsprechend verhält, kann es durchaus auch wohlwollende Botschaften geben. Abweichungen der Tochter vom erwünschten Verhalten werden dagegen bestraft, wie etwa mit Zuwendungsentzug. Diese unkalkulierbaren Ambivalenzen führen zu einer großen Unsicherheit bei den Töchtern.

Als Kind einer narzisstischen Mutter fühlen sich die Betroffenen dressiert und abgerichtet. Sie verspüren große Angst und Unsicherheit. Es gibt auch Mütter, die körperlich gewalttätig werden. So lernt das Kind die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken und sich mit ganz feinen Antennen auf die Stimmung der Mutter auszurichten. Denn oft reicht schon ein Augenschlag, um zu erkennen, dass Mutters Stimmung sich ungünstig verändert hat. Die Botschaften werden subtil gesendet, sie wirken wie ein geheimer Code. Die Dynamik von Manipulation, Abwertung und Bewertung ist von außen oft nicht sichtbar. Das Verhalten der Mutter ist passiv-aggressiv, so dass sie jederzeit abstreiten kann, so etwas gesagt bzw. so gemeint zu haben. Konstruktiver Streit, Kritik und Diskussionen sind ein Tabu. Tauchen sie auf, werden die Impulse im Keim erstickt. Denn die Mutter hat immer Recht. Für Narzissten ist es kaum auszuhalten, kritisiert zu werden. Ein Kind stellt sich sensibel auf die oft verdeckten Forderungen der Mutter ein, spürt, was sie will und braucht. Zu diesen subtilen Botschaften gehören auch Bewertungen durch Vergleiche zu anderen. Kinder koppeln sich von ihren Gefühlen ab und lernen, die sehr feinen Stimmungen und Subtöne wahrzunehmen.

Ein weiteres Anzeichen für eine narzisstische Behandlung besteht in der Umkehr der Beziehung. Narzisstische Mütter lassen sich oft von ihren Töchtern versorgen, während die Versorgung der Kinder vernachlässigt wird. Zur Aufrechterhaltung ihres überzogenen Selbstbildes konkurrieren narzisstische Mütter sogar mit ihren Töchtern, eines der schwierigsten Themen für Töchter, die sich in ihrer Weiblichkeit entwickeln wollen. Narzisstische Mütter werten entweder einen Partner der Tochter ab oder flirten selbst mit ihm. Als Teenager, eine Zeit der Annäherung an das Abenteuer der Liebe, kann man dieses Verhalten der Mutter überhaupt nicht einordnen. Etwas stimmt nicht, aber man weiß nicht was es ist. Als erwachsene Tochter erkennt man diese Mechanismen besser, sie wirken aber weiter verstörend. Auch Neid als Schwester der Konkurrenz ist ein stark ausgeprägtes Symptom von Narzissten. Wenn die Tochter zu Lasten der Mutter im Mittelpunkt steht, dann wird es passieren, dass die narzisstische Mutter sich die Aufmerksamkeit durch Zerstörung der Situation zurückholt.

Die Folgen solcher Kindheitserfahrungen sind vielfältig und können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Abkoppelung von den eigenen Gefühlen, Taubheit,
  • Innere Leere,
  • Fehlendes (Ur-) Vertrauen, fehlendes Sicherheitsgefühl, große existenzielle Ängste,
  • Probleme mit dem eigenen Raum (Grenzen setzen),
  • Verlust des eigenen Zeitgefühls (Folgen der Fremdbestimmung),
  • Schuldgefühle, wenn eigenen Interessen nachgegangen wird,
  • Beziehungsprobleme, destruktive Beziehungsmuster,
  • Helfersyndrom,
  • fehlender Selbstwert/Selbstliebe,
  • Leistungsorientierung versus Selbstsabotage,
  • Selbstschädigendes Verhalten,
  • Kontrolle und Perfektionismus,
  • Gefahr eigener narzisstischer Züge.

Eine große Stärke von Töchtern, die unter narzisstische Mütter aufgewachsen sind, liegt darin, dass sie sehr genau wahrnehmen können, Schwingungen, Stimmungen, Tabus, das Unausgesprochene. Darauf wurden die Töchter trainiert, um der Mutter „keinen Kummer zu bereiten“, um ihren Zorn nicht zu entfachen. Und diese Gabe, hat die Tochter sie erkannt, kann sie auch für sich selbst, für die Selbstheilung nutzen. Dazu gehört zunächst allerdings die große Herausforderung, erst einmal wieder zu fühlen und zu lernen, den eigenen Gefühlen zu vertrauen. Wenn wir die belastenden Gefühle in uns wirklich fühlen, werden sie zu Reiseführern der Seele. Fühlen bedeutet, dass man zunächst den Schmerz der Vergangenheit zulassen und wahrnehmen muss. Es ist hilfreich, dies unter professionellen Begleitung einer Psychotherapie zu machen.

Künstlerische Prozesse können diesen Weg unterstützen (siehe auch mein Beitrag Kunst, Natur und Gesundheit). Brown vergleicht die Kunst unter all den Kategorien, die sich der Mensch schafft, als diejenige, die dem Menschsein am meisten ähnelt. „Es entspricht unserem Wesen, unvollkommen zu sein. Nicht kategorisierbare Gefühle und Emotionen zu haben. Dinge herzustellen oder zu tun, die manchmal nicht unbedingt einen Sinn ergeben. Kunst ist einfach etwas vollkommen Unvollkommenes“, so Brown.[5]

Als Tochter einer narzisstischen Mutter hat man aber gerade gelernt, perfekt sein zu müssen. Zunächst gilt es daher seine Unperfektheit anzuerkennen und lieben zu lernen. Daher geht es gerade auch nicht um „perfektes“ Malen, sondern um den künstlerischen Ausdruck jenseits einer Bewertung. Kreatives Schaffen ist Selbstausdruck und hilft bei der Selbstheilung, wie ich in meinem Buch „Kunst als Sprache der Intuition“ ausführlich dargestellt habe.[6] Diese universelle Sprache wirkt jenseits der Ratio. Künstlerisches Schaffen wirkt zum einen – und das erscheint vielleicht zunächst einmal banal, ist es aber nicht – auf der Körperebene. Das Halten des Stiftes, das Schwingen des Pinsels, die Bewegung der Hand, des ganzen Körpers führt uns zurück zum Fühlen. Beim künstlerischen Schaffen gehen wir zudem in Resonanz mit Farben, Formen und oft ganz unbemerkt auch mit den vergrabenen Themen und dem Schmerz. Der kreative Ausdruck wiederbelebt die eingefrorenen Gefühle. Intuition ausgedrückt in Kunst ermöglichen sensible Ahnungen für das, was gesehen werden will. Als Praxisbeispiel möchte ich die Idee aufzeigen, eigene Kinderfotos künstlerisch umzusetzen.

Sich der schwierigen Vergangenheit zu nähern, kann gelingen, indem wir uns unserer Kindheit künstlerisch nähern. In die Kindheit einzutauchen, kann emotional herausfordernd sein. Sich auf einem Foto aus der Kindheit zu betrachten, das einen Moment eingefangen hat, der uns berührt, reaktiviert oft die problembelastete Situation. Für die Aufgabe sucht man intuitiv Kinderbilder aus alten Fotoalben heraus. Welches Foto zieht mich magisch an, wenn ich die Alben durchgehe? Dabei kann man sich intuitiv führen lassen und einfach das Foto nehmen, das einen gerade berührt. Es wird das richtige sein (Vertrauen!). Bei der anschließenden künstlerischen Umsetzung geht es nicht um ein reales Abbild des Fotos. Vielmehr versuchen wir in Resonanz zu gehen mit dem jüngeren Selbst, das auf dem Foto durchschimmert. Die Fotovorgabe schränkt unseren Blick häufig ein. Wie soll ich die Hand malen, den Mund formen, wie schaffe ich eine Ähnlichkeit herzustellen?

Diesen Perfektionismus können wir mit einigen Tricks überwinden, denn es geht nicht um eine Kopie des Fotos, es geht um die Kontaktaufnahme zu einem Gefühl. Fotos zeigen einen eingefrorenen Moment des Lebendigen. Dieses Festhalten ist aber mehr ein Stillstellen.[7] Erst der Kontakt über den (unperfekten, ganz individuellen) künstlerischen Ausdruck erweckt das Bild mit Gefühlen wieder zum Leben.

Für die Umsetzung ist im Prinzip jedes Material geeignet. Aquarellfarben etwa schaffen dafür eine gute Möglichkeit. Denn die Wasserfarben verlaufen leicht ineinander, so dass wir uns auf Überraschendes und Ungewolltes einlassen müssen. Man kann sogar bewusst Flecken und Fehler in das Werk einbauen, indem man mit dem in Farbe getränkten Pinsel auf das Papier spritzt. Die „künstlerische Würdigung“ gerade dieser Flecken hat oft eine faszinierende Wirkung. Man kann sie Gold umranden oder anders hervorheben. Denn es ist auch eine Würdigung unserer Unvollkommenheit als Mensch. Akzente kann man auch mit einem schwarzen Feinliner setzen. Dadurch können bestimmte Bereiche betont und herausgestellt werden. Weiße oder farbige Fineliner unterstützen diesen Prozess.

Und dann lassen wir uns überraschen, was ist entstanden? Welche Assoziationen, Gedanken, Erinnerungen kommen, wenn ich mein Kunstwerk betrachte? Das bin ich. Was verbindet mich mit dieser jüngeren Version von mir? Was kommt mir in den Sinn? Was ist überraschend, interessant?

Mich hat beispielsweise an dem von mir gemalten und im Header abgebildeten Kindheitsbild sehr überrascht und erschrocken, wie brutal die Szenerie daherkommt. Der Teddy scheint wie abgeschlachtet, Blut läuft aus seinem Körper, die Hand des Kindes sieht abgehackt aus. Nun sagen mir viele Menschen nach solchen Malaktionen, dass der Ausdruck so nicht beabsichtigt war, sondern den schlechten Malfähigkeiten geschuldet sei. Und das könnte ich jetzt auch sagen. Denn ich habe die Hand beim Malen nicht „richtig“ hinbekommen, auch der Unterkörper des Teddys war mir misslungen. Ich habe die Szenerie nicht bewusst so brutal gemalt. Es hat sich entsprechend im Laufe des intuitiven Malens entwickelt. Ich glaube aber fest daran, dass diese vermeintlichen Unfähigkeiten keine Zufälle sind, sondern intuitiv etwas genauso ausgedrückt werden soll. Solche Bilder wirken auf einer ganz anderen Ebene, der fühlenden, unbewussten Seite in uns. Sie haben nichts mit dem rationalen Erklären und Denken zu tun. Sie nehmen Kontakt auf zur Bilderwelt der Seele.

Lassen Sie sich überraschen und leiten von der Kraft der Kunst. Und so schließe ich den Beitrag mit einem Zitat von George Addair: „Alles, was du jemals wolltest, ist auf der anderen Seite der Angst!“

 Termine

Ulrike Hinrichs leitet mehrere kunsttherapeutisch orientierte Gruppen, u.a. zum Thema Scham in der Frauenberatungsstelle Biff Harburg und das Projekt Frauenbilder 

Literaturnachweise

[1] Forward, Suzan (2015), Wenn Mütter nicht lieben, Goldmann

[2] Zum Begriff der Resonanz ausführlich Rosa, Hartmut (2016, S. 55). Resonanz. Berlin: Suhrkamp Verlag.

[3] Rosa (2016, S. 62)

[4] Mc Bride, Karyl (2017), Werde ich jemals genug sein?“ Töchter narzisstischer Mütter, Probst Verlag

[5] 01(2017, S. 164). Verletzlichkeit macht Stark. Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden. München: Goldmann.

[6] Siehe dazu mein gleichnamiges Buch: Hinrichs Ulrike (2019). Kunst als Sprache der Intuition. Der holografische Ansatz in der Kunsttherapie und kunstanalogen Transformationsprozessen. Schweiz: Synergia.

[7] Dazu auch Rosa (2016, S. 59)

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