Zur 3. SuedLese kommt auch Reemtsma-Sohn Johann Scheerer nach Harburg

Der „Angehörige“ liest

Reemtsma-Sohn Johann Scheerer liest bei der 3. SuedLese in der Buchhandlung am Sand. (Foto: Matthias Haslauer)

Sein Buch ´Wir sind dann wohl die Angehörigen` wird gerade allerorten besprochen und gelobt, obwohl die Geschichte mehr als 20 Jahre her ist. Jetzt liest Johann Scheerer im Rahmen der SuedLese.

„Jan Philipp ist entführt worden. Die Entführer wollen 20 Millionen D-Mark. Die Polizei hat einen Krisenstab eingerichtet. Christian Schneider ist auf dem Weg hierher. Ich weiß ganz sicher, dass es gut ausgehen wird, aber bis dahin wird es schwer für uns werden.“ Mit diesem Satz wird der 13jährige Johannes an einem Tag im Jahre 1996 morgens von seiner Mutter geweckt. Jan Philipp ist sein Vater. Mit dem Satz ändert sich alles. Nicht nur in der Wahrnehmung des Teenies, sondern ganz konkret. Das eigene Haus wird zur Polizeizentrale, privat gibt es auf einmal nicht mehr.  Dafür Warten, Stille, Leere und viele Gedanken. „Ich dachte: Ok, er ist entführt und ist jetzt entweder tot oder wird sehr bald sterben, wird ermordet werden. Ich habe das die ganze Zeit gedacht – von der ersten bis zur letzten Sekunde.“

Johann Scheerer erzählt auf berührende und mitreißende Weise von den 33 Tagen um Ostern 1996, als sich sein Vater Jan Philipp Reemtsma in den Händen von Entführern befand, das Zuhause zu einer polizeilichen Einsatzzentrale wurde und kaum Hoffnung bestand, ihn lebend wiederzusehen.

„Es waren zwei Geldübergaben gescheitert und mein Vater vermutlich tot. Das Faxgerät hatte kein Papier mehr, wir keine Reserven, und irgendwo lag ein Brief mit Neuigkeiten.“ Wie fühlt es sich an, wenn einen die Mutter weckt und berichtet, dass der eigene Vater entführt wurde? Wie erträgt man die Sorge, Ungewissheit, Angst und die quälende Langeweile? Wie füllt man die Tage, wenn jederzeit alles passieren kann, man aber nicht mal in die Schule gehen, Sport machen, oder Freunde treffen darf? Und selbst Die Ärzte, Green Day und die eigene E-Gitarre nicht mehr weiterhelfen?

Johann Scheerer wurde 1982 geboren. Im heutigen Leben ist er vor allem Musiker und Musikproduzent. Er gründete mit fünfzehn Jahren seine erste Band, nahm mit »Score!« 1999 sein erstes Album auf und ging auf Deutschlandtour. Nach dem Abitur bekam er einen Plattenvertrag für sein Soloprojekt »Karamel«, gründete 2003 das Tonstudio »Rekordbox« und 2005 »Clouds Hill Recordings«.

Mittlerweile konnte er die einhundertste Veröffentlichung als Musiker und Produzent feiern, u.a. mit Faust, Gallon Drunk, Bosnian Rainbows, Rocko Schamoni, James Johnston, Peter Doherty und aktuell At the Drive-In. » It´s magic what this young German did to my songs. He saved my life.« Peter Doherty // The Libertines, Babyshambles.

„Ein ebenso kluges Buch, aber es gibt die Distanz auf, die durch die Rationalität des Betrachters entsteht.“ (Thomas Andre, Hamburger Abendblatt v. 5. März 2018)

„Johann Scheerer ist ein besonderes Buch gelungen. Es erzählt auf mehreren Ebenen die Geschichte einer Entführung. Gleichzeitig schafft er es, absolut glaubwürdig von der Gefühlswelt eines bedrängten Teenagers zu berichten – und, oft mit indirekter Beleuchtung, einen Familienroman zu erzählen. Und nicht zuletzt ist das Buch eine Liebeserklärung an seinen Vater, den Intellektuellen, der jede freie Minute mit Lesen verbringt, aber auch den Sohn nachts um 2 Uhr weckt, weil ein Boxkampf übertragen wird.“ (Patric Seibel, NDR Info – Lesezeit am 1. Mrz. 2018)

„Seine Sätze sind kurz, schnörkellos, reduziert auf das Wesentliche; sein Ton unsentimental, seine Betrachtungsweise hypersensibel. Und so gelingt es ihm, eine Ebene des Erzählens zu finden, die mit scheinbarer Beiläufigkeit einen ganzen Resonanzraum von Bedeutungen zum Klingen bringt.“ (Julia Encke, FAZ v. 28. Feb. 2018)

Johannes Scheerer im Interview beim NDR

Termin: Di, 24. April, 19.30 Uhr, Eintritt: 10 €

Buchhandlung am Sand, Hölertwiete 5, 21073 Hamburg-Harburg, Tel.: 040 / 77 19 08, www.amsand.de

Karten sollten unbedingt im Vorverkauf gesichert werden!

Johann Scheerer: Wir sind dann wohl die Angehörigen – Die Geschichte einer Entführung

erschienen am 01.03.2018, 240 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-492-05909-1; Preis: 20,- €

Das Pendant aus der Sicht des Vaters stammt von 1997 und ist mittlerweile in meheren Auflagen

erschienen. Und: Jan-Philipp Reemtsma ist ein brillanter Wortbeherrscher, die Sichtweise und Sphäre zum selben Fall als Pendant absolut empfehlenswert.

Jan-Philipp Reemtsma: Im Keller; ISBN: 978-3-499-22221-4, Preis: 16,- € (Taschenbuch 8,99 €)

 

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