Das brachliegende Neuenfelde steht vor einem sanften aber radikalen Umbruch:

Keep cool im Großstadtpfuhl

Landebahn für Gestresste statt für Stahlvögel: Neuenfelde. (Foto: Refugium-Neuenfelde.de)

Die Großstadt bietet alles was das Herz begehrt – nur Ruhe eher selten. Ausgerechnet ein „Refugium“ in Airbus-Nähe soll dies nun ändern …

Wer wünscht es sich nicht? Alle Vorteile einer Metropole mit Einkauf-, Kultur-, Freizeit- und Sport-Angeboten noch und nöcher und am Besten alles direkt vor der eigenen Haustür.  Dumm nur, wenn diese viele andere Menschen auch nutzen und es zu Staus, Gedrängel, Lärm und Hektik kommt. Aber passt das Idyll des ruhigen Dorfs mit der Metropole zusammen? Stadtplaner, Umwelt-, Kulturaktivist und SuedKulturler Mathias Lintl sagt ja.

Seine Planung: das „Refugium für urban gestresste Menschen“. Ort: leerstehende Häuser in der Hasselwerderstraße 146 & 147 in Neuenfelde. Plan: der Prototyp des urbanen Dorfes von Morgen.

Und er- und geforscht hat er auch schon. Dafür gibt es den Verein „Stadtkultur Hafen e.V.“.

Von März bis August 2016 hat dieser zusammen mit dem „Büro für Kunst Bauen Stadtentwicklung üNN“ (üNN steht für die maritime Abkürzung „ über NormalNull“) auf eigene Initiative die zwei Häuser in der Hasselwerder Straße in Neuenfelde ausgiebig erkundet. Es handelte sich um gut 120 Jahre alte Häuser, die seit einem Jahrzehnt aufgrund der Airbus Landebahnverlängerung leer standen. Und Leerstand interessierte Mathias Lintl schon immer. Insbesondere die Eigenarten der Häuser, die Baussubstanz und der hübsch verwilderte Garten galt es zu erkunden.

Gedacht, geforscht, gefeiert

Es wurde gedacht, geforscht, diskutiert, gefeiert und sich mit Menschen aus Neuenfelde und Hamburg Gedanken gemacht, ob dieser Ort das Zeug hat, Heimat für ein „Refugium für urban gestresste Menschen“ zu werden.  Die Forschungsthemen klangen verrückt, brachten aber Erstaunliches zutage: Der Musiker und Künstler Harald Finke zum Beispiel ließ im Sommer 2016 „Pflanzenmusik“ im Rahmen des jährlichen stadtweiten Musikfestivals „blurred edges“ erklingen. Musiker und Pflanzen jammten zusammen. Alte Tapeten wurden ebenso erforscht, wie die Brauchbarkeit alter Hammond-Orgeln oder eines Bäckerei-Ofens.

 

Klingt abstrus? Von wegen. Philip Gaedke, Designer und Inhaber von Gaedke Tapeten, wurde gleich neugierig: „Eine wahre Fundgrube sind diese leeren Häuser in Bezug auf Geschmack und Einrichtungs-Stile vergangener Zeiten. Von besonderem Interesse natürlich die alten Tapeten“, heißt es auf seiner website, auf der er auch Überreste diverser Tapetenmuster aus Neuenfelde zeigt und als neu gestaltet Tapeten auch zum Kauf anbietet.  „Unabhängig davon, ob die Muster gefallen oder nicht, wurde hier im ersten Schritt eine kleine Dokumentation des Bestands erstellt.  Als kleine Fingerübung werden einige Muster nachgebildet, variiert und dienen dann auch als Inspiration für Neues.“

Rarität: Tapete im Bauhausstil. (Foto: Gaedke)

Das Konzept fruchtet also und stößt auf Nährboden. Mathias Lintl: „Schnell wurde klar: Wir müssen weiter, komplexer und größer denken.“

Und so könnte es vor allem ein Rückzugsort für Kreative werden. Lintl: „Viele Hamburger schätzen die Stadt als Lebens- und Wohnort. Doch oft vermissen sie Rückzugs- und Erholungsorte, an denen sie frei von Konsumzwang sich entspannen und Kraft tanken können. Da geht es Künstler*innen und Kulturschaffenden nicht anders als allen Anderen.“

Neue Art Lebenskultur

Daraus entstanden ist nunmehr ein Konzept, das die beiden Häuser als Kern hat, aber auch das Ganze mitdenkt. Ob Nahversorgung & Mobilität, Fahrradtourismus & Hostel, Backkultur & lokale Ökonomie, Wasservitalisierung & Gemeinschaftsgärten, Abriss & Neubau….

Ziel soll es nun sein an die SAGA als Hauseigentümerin zu treten, um zu sehen, ob man den vorübergehend „evakuierten“ Zustand nicht neu beleben kann und ohne Neubau eine neue Art der Lebenskultur etabliert. Urban gestresste Menschen sollten zumindest zu diesem Aspekt hell wach bleiben.

Weitere Infos unter:

refugium-neuenfelde.de

(13. Jun. 2017, hl)

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