Poesie-Studentin während der 7. SuedLese in der Kunstleihe

Heimat als poetische Installation

Kann man mehr als eine Heimat haben und ist Heimat immer schön und positiv? Kann man sie in Fetzen sammeln, in Drähte aus Aluminium pressen und zu einer Installation werden lassen? Ja.

Das Ergebnis ist während der SuedLese-Literaturtage im Schau-Fenster der Kunstleihe Harburg in Heimfeld zu sehen. Es stammt von der Künstlerin frankhaleesi und wir haben mal nachgefragt …

Tiefgang (TG): Du studierst Poesie? Was studiert man da so? wie darf man sich das vorstellen? Den ganzen Tag dichten? 

frankhaleesi: Der Studiengang, den ich besuche, heißt ganz offiziell Expressive Arts in Social Transformation, kurz EAST. Hier liegt der Fokus auf dem künstlerischen Arbeiten mit Menschen. Im ersten Semester haben wir dafür vier künstlerische Schwerpunkte kennen gelernt: Bildende Kunst, Musik, Performance Arts und Poesie. Aus diesen Schwerpunkten wählt man dann ein Haupt- und ein Nebenfach. Bei mir sind das Bildende Kunst und Poesie gewesen. Da Poesie mein Nebenfach ist, hatte ich es im dritten Semester. Das erst einmal grob dazu.
Im Poesie Modul haben wir natürlich auch gedichtet, aber das war nicht alles. Wir haben Methoden und Techniken kennen gelernt, um ins Schreiben zu kommen oder Schreibprozesse anzuleiten. Wir haben im Rahmen des Moduls auch beim Hamburger Kulturgipfel teilgenommen und dort im Rahmen der Poesieambulanz einen Workshop durchgeführt. Dort sind wir mit den Teilnehmenden ins Schreiben und ins Gespräch gekommen. Es geht viel um den Austausch und den Prozess, den wir in unserer Arbeit durchleben und eben nicht um das fertige Werk. Es geht nicht darum, dass am Ende etwas da ist, was perfekt ist, sondern vor allem um all das, was wir auf dem Weg lernen und erfahren.
Neben dem praktischen Arbeiten haben wir uns aber auch mit Projekten und Gruppen im öffentlichen Raum beschäftigt; mit deren Arbeiten und der Wirkung dieser.
Und natürlich gibt es neben dem Modul noch theoretische Module, die sich mit Themen wie Projektmanagement oder Sozio- und Interkultureller Arbeit beschäftigen. 

TG: Du hast zig Menschen nach ihrer Wahrnehmung zu „Heimat“ befragt. Wie kamst Du darauf? 

frankhaleesi: Ich bin selbst erst letztes Jahr von Schneverdingen nach Hamburg gezogen und hatte dann eben auf einmal irgendwie zwei Heimaten. Denn ich wohne jetzt an einem neuen Ort, also eine geografische Heimat, aber trotzdem verbinde ich immer noch so viel mit der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, mit meinen Eltern und Freunden, die dort wohnen und dem Gefühl, wenn ich wieder dort bin. Es ist also ein sehr persönliches und aktuell wichtiges Thema für mich. Denn mit jedem Tag, den ich hier in Hamburg verbringe, fühlt sich dieser Ort nicht nur geografisch nach Heimat an.
Durch diesen persönlichen Bezug habe ich mich dann natürlich auch viel mit Freunden und Familie darüber unterhalten. Das hat mir natürlich noch einmal vor Augen geführt, wie individuell unterschiedlich jeder Heimat definiert, empfindet und begreift. Das wollte ich einfangen und irgendwie künstlerisch darstellen und weil ich zu der Zeit durch die Uni viel poetisch gearbeitet habe, habe ich das Thema „Heimat“ zu meinem Prüfungsprojekt gemacht.  

TG: Was bedeutete vorher für dich „Heimat“? 

frankhaleesi: Wie in der vorigen Antwort schon mitschwingt, gabs für mich vorher auf jeden Fall schon den geografischen, emotionalen und sozialen Aspekt. Für mich war und ist Heimat eben ein Ort, mit dem ich viel verbinde, wo die Menschen sind, die mir viel bedeuten und das Gefühl von Ruhe, Geborgenheit und „Hier kann ich ich sein“. Würde ich zum Beispiel behaupten, dass Schneverdingen oder Hamburg allein als Stadt meine Heimat ist, wäre das nur die halbe Wahrheit, denn meine Heimat sind zum Beispiel auch die Menschen, die dort leben.

TG: Was war überraschend an den Antworten? 

frankhaleesi: Interessant war, dass wirklich viele ein ähnliches Verständnis haben wie ich. Ich habe ganz oft Antworten wie „Familie und Freunde“ oder „Da, wo ich aufgewachsen bin“ bekommen. Persönliche und emotionale Erinnerungen waren auch ganz oft ein Teil der Antwort. 

Es gab natürlich auch antworten, die eher negativ gegenüber dem Begriff der Heimat waren. Das hat mich schon ein wenig überrascht, denn ich hatte ja meine doch recht positive Einstellung dazu. Natürlich bin ich nicht davon ausgegangen, dass es keine negativen Ansichten gibt, aber wenn man das dann doch als offizielle Antwort sieht, erinnert das doch nochmal daran, dass eben nicht immer alles perfekt und gut ist.  

TG: Unser Bundesinnenministerium heißt seit letzter Legislatur und nun noch immer auch Heimatministerium? Macht das Sinn? Und wenn, welchen? 

frankhaleesi: Ich persönlich denke, dass es kein Ministerium mit dem Schwerpunkt Heimat geben muss. Das Thema Heimat ist sehr vielschichtig und sollte daher auch in vielen unterschiedlichen Bereichen der Politik berücksichtigt werden. 

TG: Du hast deine Interviewergebnisse zu Poesie verwandelt – war das schwer für Dich? Also sowohl technisch als auch inhaltlich? 

frankhaleesi: Ich habe damit angefangen, die Antworten zu sortieren, doppelte Antworten zu stapeln und zuschauen, was die Teilnehmenden ähnlich empfinden. Dann habe ich begonnen, einzelne Antworten in poetische Texte oder eher Zeilen zu verwandeln. Der Prozess des Schreibens hatte natürlich Phasen, in denen ich das Gefühl hatte, nichts funktioniert, wie ich das möchte und meine Textfetzen passen nicht zueinander oder ergeben überhaupt keinen Sinn. Das gehört aber dazu, wenn man an etwas arbeitet und sich mit etwas auseinandersetzt, denke ich. Ich würde dennoch nicht sagen, dass es mir schwergefallen ist. Es hat eher lange gedauert, Verknüpfungen zu finden und den Text so anzuordnen, dass aus all den Teilen ein fertiges Bild wird. Ähnlich wie bei einem Puzzle.

TG: Poesie als bildhafte Kunstinstallation – was erwartet die Betrachtenden? 

frankhaleesi: Die Betrachtenden erwartet eine Text-Installation, also Wörter aus Aluminiumdraht geformt, die inspiriert und entstanden ist aus mehr als 100 Antworten auf die Fragen „Was ist Heimat für dich“ und „Wie fühlt sich Heimat für dich an?“. Ob die Betrachtenden sich in dem Text wiederfinden und ihn zutreffend auf ihren Heimat Begriff sehen, ist ihnen natürlich selbst überlassen. Heimat ist schließlich etwas Persönliches und Individuelles. Ich wünsche mir, dass ich den ein oder anderen Menschen durch meinen Text zum Nachdenken anregen kann. Vielleicht erkennen sich einige sogar in speziellen Zeilen wieder oder werden angeregt, ihre eigene Heimat für sich sichtbar zu machen und in Worte zu fassen. 

TG: Was können wir von frankhaleesi künftig erwarten?

frankhaleesi: Einen genauen Plan für meine künstlerische Zukunft gibt es nicht, da ich noch auf der Suche nach meinem Weg bin, viel spontan arbeite und vor allem aus persönlichem Antrieb kreativ werde. Ich arbeite oft mit meinen Emotionen und für mich interessanten Themen oder Materialien. Eins meiner Materialien, mit denen ich sehr gerne arbeite, ist eben Draht. Normalerweise schreibe ich damit aber keine Texte, sondern gestalte Draht Figuren.  

 TG: Vielen Dank für das Interview und für die poetische Installation!

Die Installation aus Aluminiumdraht „Heimat“ ist während der SuedLese-Literaturtage vom 1. bis zum 30. Juni im Schau-Fenster der Kunstleihe Harburg in der Meyerstraße 26 zu sehen.

 

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