Kürzlich berichteten wir über eine Studienarbeit zum Harburger Kunstsammler Harald Falckenberg. Jetzt sprachen wir die Autorin und hakten nach, wie es der Hamburger Kunstszene damit so ergeht.
Die Kunstwissenschaftlerin Norah Limberg schrieb ihre Bachelor-Arbeit zum Thema „Die Sammlung Falckenberg im kulturpolitischen Raum“ (´Tiefgang` am 10.2.2018: „Das System Falckenberg“)
Die Arbeit (als PDF hier abrufbar: download) beschäftigt sich vor allem kunstsoziologisch mit der gesellschaftlichen Rolle des Sammlers und seiner Relevanz. Und so wie Harald Falckenberg in Hamburg gibt es derweil einige Promis unter den Kunstsammlern: Christian Boros mit seinem Kunst-Bunker in Berlin, Frieder Burda, die Julia Stoschek collection in Düsseldorf, der „me collectors room“ von Thomas Olbricht. Insbesondere im Falle Falckenbergs aber kommt Norah Limberg zu dem Schluss, dass „die Pluralität der kulturellen Landschaft Hamburgs nicht gefördert, wenn sogar noch geschwächt“ wurde und die Stadt Hamburg gar seine Prinzipien der staatlichen Kulturförderung gebrochen hätte, denn „Neutralität“ sei definitiv nicht geben gewesen. Grund genug, mal nachzufragen.
Tiefgang (TG): Frau Limberg, Sie haben Kunst- und Sozialwissenschaften studiert. Wie kamen Sie auf ausgerechnet diese Konstellation?
Norah Limberg: Als ich mich nach meinem Abitur für die zwei Fächer an der Universität Oldenburg beworben habe, war mir noch nicht ganz klar, wie sehr sich das Studium in den doch sehr unterschiedlichen Fachdisziplinen wechselseitig befruchten würde. Erst zum Ende des Bachelorstudiums zeichnete sich für mich ab, dass sich mit den Wissenschafts-Bereichen der Kunstsoziologie und der Kulturpolitikforschung – die sich natürlich noch einmal signifikant voneinander unterscheiden – eine Schnittstelle ergibt, für die ich mich besonders interessiere.
TG: Sie haben sich in Ihrer Bachelor-Arbeit insbesondere mit der Person Harald Falckenberg als Kunstsammler beschäftigt? Wie kamen Sie auf ihn?
Norah Limberg: Vor einiger Zeit habe ich ein halbjähriges Praktikum im Kunstverein Bremerhaven absolviert, in dessen Rahmen ich erstmalig in die „Deichtorhallen Hamburg – Sammlung Falckenberg“ gefahren bin. Nach einem Treffen mit Harald Falckenberg habe ich angefangen, mich über ihn, den Sammlungsaufbau und letztendlich die Angliederung zu informieren, woraus mein Interesse an diesem doch sehr komplexen Thema erwachsen ist.
TG: Ist Harald Falckenberg denn eher Kunst-Sammler oder Kunst-Händler?
Norah Limberg: Meines Erachtens nach changiert Harald Falckenberg gekonnt zwischen den Rollen des Kunstsammlers und Kunsthändlers, positioniert sich zwar deutlich als Kunstsammler und profitiert zugleich durch seine An- und Verkäufe. Als Kunstsammler lässt es sich besser unter dem Deckmantel der „Liebe zur Kunst“ agieren, als als Kunsthändler, der offensichtlicher nach Handlungsmaximen wie der Gewinnmaximierung handelt. Durch die vermeintliche Leidenschaft zur Kunst und dem kulturellen Engagement, das der öffentlichen Zurschaustellung der eigenen Sammlung zugesprochen wird, lässt sich die Kapitalanhäufung und die eigene ökonomische Machtbasis – dem Bourdieu’schen Verständnis zufolge – besser verschleiern.
TG: Hat er ihre Arbeit schon gelesen? Hatten Sie schon einmal persönlich dazu Kontakt mit ihm?
Norah Limberg: Ob er meine Arbeit bereits gelesen hat, kann ich nicht sagen. Da aber verschiedenste Akteur*innen aus dem Kunstfeld, die durch ihre beruflichen Tätigkeitsfelder Verbindungen zu Falckenberg haben, die Arbeit angefragt hatten, kann ich mir vorstellen, dass sie zu ihm durchgedrungen ist. Persönlichen Kontakt hatten wir bezüglich meiner Forschungsarbeit noch nicht, da es mir insbesondere darum ging, nach den gesellschaftlichen Strukturen zu fragen, die meines Erachtens nach durch die Sammlungsangliederung zum Vorschein kamen. Ich habe mich also dem Phänomen mit dem soziologischen Verständnis heraus genähert, einen gesellschaftlichen Prozess zu beschreiben und zu verstehen, und zugleich das Verhalten von Akteur*innen und Gruppen zu beleuchten, die in Abhängigkeit von der sie umgebenen sozialen Netzwerken (inter)agieren. Da spielen individuelle Beweggründe keine allzu große Rolle.
TG: Gibt es in der deutschen Kunstszene vergleichbare Personen, die ein ähnliches Muster aufweisen? Wenn, wer und inwiefern?
Norah Limberg: Ja, in der Deutschen und auch Internationalen Kunstszene gibt es vermehrt Sammler*innen, die mit einer „neuen Sichtbarkeit“ in den öffentlichen Kunstraum stoßen. Ich verweise hier mal konkret auf Niklas Maak: Zwischen Pinault und Pinchuk. Netzwerk und Rituale eines neuen transnationalen Sammlersystems. (In: Texte zur Kunst. Heft 83). Seit circa Mitte der 1990er Jahre investiert die ökonomische Elite immer mehr in den Ankauf von Kunstwerken und präsentiert ihre Sammlungen im öffentlichen Raum durch die Gründung von Privatmuseen, wie im Deutschen Raum beispielsweise der Medienunternehmer Christian Boros mit seinem Kunst-Bunker in Berlin (2003), Frieder Burda (2004), die Julia Stoschek collection (2007) in Düsseldorf, der „me collectors room“ von Thomas Olbricht, ebenfalls in Berlin (2010).
Celebritysierung von Kunstbesitz
Das Kunstsammeln und auch das Ausstellen jener Werke von Privatsammlern folgt natürlich einer langen Tradition. In den letzten Jahrzehnten konnte aber beobachtet werden, dass die gegenwärtige Generation von Kunstsammler*innen durch den Aufbau von eigenen Ausstellungshäusern den Anspruch auf bleibende Bedeutung erheben und damit ein verstärkter Personenkult einhergeht – Steffen Zillig, Kunstkritiker und freier Künstler, spricht von einer „zunehmenden Celebritysierung von Kunstbesitzer/-innen“.
Nun lässt sich natürlich sagen: Harald Falckenberg hat ja seine Sammlung als Dauerleihgabe eines großen Ausstellungshauses zur Verfügung gestellt. Das bedeutet aber nicht, dass er dadurch automatisch weniger sichtbar im öffentlichen Raum ist, sondern eher das Gegenteil ist der Fall: Er kann durch die Sammlungsangliederung noch mehr Renommee für sich und seine Sammlung generieren, nimmt die Rolle als Mäzens ein und stellt sein ökonomisches und objektiviertes Kulturkapital – also seine Werke – scheinbar selbstlos, aber zur Schau gestellt einem städtischen Haus im Sinne der kulturellen Verantwortung zur Verfügung. Sein Ansehen in der Gesellschaft und sein Einfluss auf institutionelle und informelle Strukturen im Kulturfeld steigen umso mehr.
TG: Sie beziehen sich in Ihrer Analyse auf den Kunstsoziologen Bordieu, der zwischen ökonomischen, kulturellen, sozialen und symbolischen Vermögen unterscheidet. Eine zentrale Rolle kommt bei ihm dem sogenannten Habitus zu. Bourdieu verstand darunter Gewohnheiten, Güter und auch Lebensstil, die jemanden als Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe kennzeichnen. Meinen Sie, Harald Falckenberg hat sich dies zum Vorbild oder als Schablone genommen oder trifft die Theorie hier einfach ein weiteres Mal auf seine Evidenz?
Norah Limberg: Ich gehe nicht davon aus, dass sich Harald Falckenberg in seiner Rolle als kapitalkräftiger Akteur im Kunstfeld an Bourdieus Theorie zum sozialen Raum orientiert. Erstens, weil diese Prozesse der Kapitalaneignung und -umwandlung – insbesondere wenn es sich nicht offensichtlich um ökonomisches Kapital in „unverschleierter Form“ handelt – gar nicht so unmittelbar sichtbar sind beispielsweise die Transformation von ökonomischem in kulturelles und soziales Kapital sukzessive und im Falle Falckenbergs über Jahre passiert ist.
Zweitens ist beispielsweise der Habitus im Verständnis Bourdieus nichts, das sich mithilfe eines zielorientierten Kalküls formen ließe, sondern viele gesellschaftliche Faktoren zu seiner Herausbildung beitragen, die ein Individuum allein nicht steuern kann. Bourdieus Studien und daraus resultierende Theorien zum sozialen Raum bieten keine „Handlungsanleitung zur Kapitalaneignung“, sondern vielmehr ein sehr fruchtbares Instrumentarium an, um Strukturen in einem gesellschaftlichen Feld – wie das Hamburger Kunstfeld – und die Positionen einzelner Akteur*innen darin zu analysieren.
TG: Bestimmen Charaktere wie Falckenberg künftig unser allgemeines Kunstverständnis oder tun sie es gar bereits?
Norah Limberg: Charaktere wie Falckenberg haben auf jeden Fall Wirkungen auf unser Kunstverständnis, da sie mit enormer Kraft in das Kunstfeld hineinwirken und das Kunstfeld in die Gesellschaft. In Hamburg hat sich einer Studie zufolge das Kräfteverhältnis innerhalb des Kunstfelds stark zugunsten von Privatsammlern verschoben – sie gelten mittlerweile als „höchste Konsekrationsinstanz“, vorher waren es die Museen. Das heißt, Sammler entscheiden, sie können durch ihre soziale Position im Feld entscheiden, welche Kunst gut ist und welche nicht, sie können legitime Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien durchsetzen. Das Monopol über die kulturelle Legitimität liegt vermehrt in deren Händen. Und was als legitim gilt, prägt automatisch das Kunstverständnis der Rezipierenden.
TG: Wurde die Stadt Hamburg geblendet oder eiferte sie dem Ruf Falckenbergs nach?
Norah Limberg: Meines Erachtens nach haben Akteur*innen der Stadt Hamburg sich bei der Entscheidungsfindung, ob es sinnvoll ist in die Angliederung der Sammlung Falckenberg an die Deichtorhallen Hamburg zu investieren, von bestimmten Faktoren, die mit der Angliederung einhergehen, beeinflussen lassen. Diese Faktoren hingen sicherlich auch mit dem international wirkenden Renommee zusammen, das Falckenberg als Kunstsammler und damit auch seine Sammlung mit internationaler Reichweite genießen dürfen. Der damalige Kultursenator Stuth bezeichnete die Angliederung als einen „wichtigen Erfolg für die Kulturmetropole Hamburg„.
Walter Grasskamp, Kunstkritiker und – soziologe spricht von solchen Kooperationen zwischen Kulturbehörde und Privatpersonen als „Kuhhandel, der auf dieser Weise zwischen dem Sammler und der Kulturbürokratie zustande kommt. Die Rolle der Kulturbürokratie wird dabei aufgewertet, denn sie kassiert mit der Sammlung des Prestige kulturellen Engagement; den Sammler wertet sie im Gegenzug auf und tauft ihn zum Mäzen“. In meiner Arbeit habe ich anhand der Markenanalyse vom Hamburger Marketing und den „Erfolgsmuster(n) der Marke Hamburg“ aufgezeigt, dass sich die Sammlungsangliederung optimal in die marketingstrategischen Pläne der Stadt einbinden ließen – hier entstand also eine win-win-Situation für die Stadt, Harald Falckenberg und die Deichtorhallen Hamburg.
TG: Sie bemängeln, dass durch die Kooperation mit Harald Falckenberg die Kunstszene in Hamburg im Grunde geschwächt wurde. Woran machen Sie das fest?
Norah Limberg: Ich mache dies daran fest, dass die Kooperation mit Harald Falckenberg auch durch sein enorm hohes Sozialkapital zustande kam – Falckenberg hat bereits vor der Angliederung ein beachtliches Netzwerk innerhalb des Kunstfelds gegründet und sukzessive ausgebaut, saß schon in diversen Vorständen und Aufsichtsräten und pflegte Kontakt zu wichtigen Funktionär*innen der Kulturbehörde. Diese Institutionalisierungsarbeit ist nach Bourdieu notwendig für die Produktion und Reproduktion von nützlichen Verbindungen, die Zugang zu symbolischen und materiellen Profiten verschaffen.
Die meisten Kulturschaffenden, die auf eine Förderung seitens der Stadt hoffen, weisen diese Verbindungen in so ausgeprägter Form nicht auf. Somit besteht schon einmal eine Benachteiligung gegenüber Akteur*innen wie Falckenberg, die einen wesentlich leichteren Zugang zu beispielsweise der Kulturbehörde haben.
Und wenn Fördergelder nach solchen Kriterien wie einem institutionalisierten Sozialkapital vergeben werden, dann geht damit automatisch eine Schwächung derjenigen einher, die kein hohes Sozialkapital aufweisen können. Förderung muss meines Erachtens nach bestimmten Handlungsmaximen wie Objektivität und nach Qualität vergeben werden und nicht nach Richtlinien wie Ansehen, Vernetzung und Gewinnmaximierung für die Stadt.
Frustrierte Kulturakteure
Desweiteren habe ich in meiner Arbeit aufgezeigt, dass viele Kulturakteur*innen durch die schwindende Förderung seitens der Stadt frustriert sind und die immer stärker werdende finanzielle Unterstützung sogenannter „Leuchtturm-Projekte“ negativ beurteilen. Es ist also eine Unzufriedenheit und eine Spaltung innerhalb des Kulturfelds zu beobachten, die sicherlich negative Wirkungen auf die gesamte Produktivität des gesamten Felds generiert – wobei dies erst noch gründlich untersucht werden müsste.
TG: Gibt es Anzeichen, dass die Stadt Hamburg das „Abkommen“, also den bestehenden Kooperationsvertrag nach 2023 verlängern oder einstellen wird?
Norah Limberg: Ich sehe es als absolut notwendig an zu erfragen, inwiefern bereits Pläne für die Fortsetzung oder Einstellung des Kooperationsvertrags geschmiedet werden. An die Öffentlichkeit sind bislang keine Anzeichen durchgedrungen. Hier besteht also meiner Ansicht nach Handlungsbedarf – es sollte eine Forderung nach mehr Transparenz in kulturpolitischen Entscheidungsprozessen ausgesprochen werden.
TG: Sollte eine Stadt wie Hamburg aber auch anderswo Mechanismen erschaffen, um solche oder ähnlich geartete Fälle zu unterbinden? Und wenn, welche?
Norah Limberg: Die Stadt Hamburg – in dem Falle die Kulturbehörde und angegliederte Gremien, die über die Vergabe von Fördermitteln entscheiden – sollte meiner Meinung nach im ersten Schritt an ihre eigene Objektivität appellieren und Mechanismen installieren, die überprüfen inwiefern die „Prinzipien der Kulturförderung“ in diesem und vergleichbaren Fällen eingehalten werden. Als Grundprinzip wird hier die Neutralität genannt; Offenheit und Kontrollierbarkeit von Entscheidungsfindungen sollten für mehr Transparenz in kulturpolitischen Prozessen sorgen. Ein wichtiger Schritt wäre auch, Gremien mit Vertreter*innen aus dem pluralen Lebensbereich der Gesellschaft zu besetzen – also mit Akteur*innen aus der Kunstfeld und der -szene ebenso wie mit interessierten Bürger*innen der Stadtbevölkerung. Nur so kann eine Legitimation von Kulturpolitik erreicht werden.
TG: Frau Limberg, vielen Dank für das Gespräch und die kunstreichen Erkenntnisse, die Sie uns haben mitgeben können.
(Das Interview für ´Tiefgang` führte Heiko Langanke)
Weiterführend: Radiobeitrag in „SWR2 Zeitgenossen“ vom 11. Apr. 2015 – Der Sammler Harald Falckenberg im Gespräch mit Susanne Kaufmann