Die Kunsttherapeutin Hinrichs plädiert für einen Tabubruch einer speziellen Sinnfrage:

Mehr über den Tod nachdenken …

Totenkopf: Ulrike Hinrichs, Bronze-Skulptur

Dass wir Menschen sterben, wissen wir. Eigentlich. Aber ist es uns wirklich bewusst? Die Autorin Ulrike Hinrichs ging dem mal nach und kommt zu spannenden Erkenntnissen.

 Ein Beitrag von Ulrike Hinrichs

„The two most important days in your life are the day you are born and the day you find out why.“

Ein Zitat von Mark Twain, das mich zum Schmunzeln gebracht hat. Wer von euch hat den zweiten Tag schon erlebt? Ich jedenfalls noch nicht. Und auf der Suche nach der Antwort begegnet mir immer wieder in unterschiedlichen Facetten der Tod, ein Grund, mich auch künstlerisch mit dem Symbol des Totenkopfs zu beschäftigen. Zudem arbeite ich kunsttherapeutisch mit Menschen im letzten Lebensabschnitt, da sitzt der Tod stets mit am Tisch

(siehe ´Tiefgang`: Zusammen sind wir Wald). Auch in meiner Flüchtlingsarbeit zeigt sich in Themen wie Verlust, Abschied, Sterben und Folter der Tod von seiner angsteinflößenden Seite (siehe ´Tiefgang`: Kunst gibt mir Freiheit).

Es überrascht daher auch nicht, dass der Totenschädel allgemein auf Ablehnung stößt, steht er doch für die Endlichkeit unseres Seins. Oder er wird als Modeaccessoire degradiert, als könnte man ihn damit bezirzen, mundtot machen, bagatellisieren. Menschen versuchen, das totsichere Ende so lange und gut wie möglich zu ignorieren. Auch mir macht der Tod Angst. Man ist einfach nicht mehr da. Das kann ich mir nicht vorstellen, gleichzeitig spüre ich mit zunehmenden Alter diese Realität ganz konkret in mir. Das Gefühl der Unsterblichkeit, das man als Jugendliche hatte, ist mir verloren gegangen. Damals wusste ich zwar theoretisch, dass jeder stirbt, aber tatsächlich gestoben sind immer nur die anderen.

Werden und Vergehen

Schaut man tiefer in die Symbolik des Totenkopfs, so repräsentiert er neben dem unausweichlichen Ende auch und vor allem die universellen Zyklen von Werden und Vergehen. Ohne Sterben kann nichts Neues entstehen. Diese Logik spiegelt sich überall in unserer Alltagsrealität. In den Jahreszeiten, den Rhythmen von Tag und Nacht, Ebbe und Flut, Einatmen und Ausatmen. Wenn wir loslassen müssen, einen Menschen, die Heimat, unsere Gesundheit, auch dann sind wir mit dem Tod konfrontiert, der Miniaturform vom endgültigen Ende. Loslassen ist daher auch für die meisten Menschen ein schwieriges Thema.

Der Tod wirft die Frage auf, die auch mich sehr beschäftigt: was ist der Sinn des Lebens und gibt es etwas, das über das materielle Leben, den leiblichen Körper, hinausgeht? Ich habe keine Antwort darauf, allenfalls Ideen dazu. Und meine Vermutung ist, dass man sich der Antwort weniger durchs Denken, sondern mehr durchs Fühlen, der Intuition nähert. Denn die Unendlichkeit des Universums und der Tod sind mit dem analytischen Denken nicht zu erfassen. Mit jedem Totenkopf, der künstlerisch aus meinen Händen fließt, versuche ich mich ein wenig anzufreunden mit dem Ende. Aber ist alles zu Ende, wenn wir sterben? Gewissheit haben wir erst, wenn wir es hinter uns haben.

Derzeit entstehen in allen Wissenschaftsdisziplinen paradigmatische Denkansätze, die neue Ideen zur Verortung und dem Sinn unseres Bewusstseins aufwerfen. Damit habe ich mich wissenschaftlich in meinem Fachbuch „Kunst als Sprache der Intuition“ auseinander gesetzt (siehe ´Tiefgang`: Mit der Kunst die Intuition einfangen).

Eine Idee, die mir besonders gefällt, ist die Annahme, dass unser individuelles Bewusstsein vielleicht Teil eines kollektiven Bewusstsein ist. Der Mediziner und Arzt Dr. Hans Hein, der das Vorwort zu meinem Buch geschrieben hat, formuliert es so: „Das Wissen ist nicht im Gehirn, sondern das Hirn im Wissen.“ Sind wir, unser aller Bewusstsein, sowas wie ein Weltengehirn? Entwickelt sich die Welt, das ganze Universum, durch dieses globale Bewusstsein weiter und ist das vielleicht auch der Sinn des Ganzen, unseres Daseins? Der Physiker und Heisenberg-Schüler Heim definiert in seiner einheitlichen zwölf-dimensionalen Quantenfeldtheorie Bewusstsein als eine Dimension des Universums. Er beschreibt einen universellen Hyperraum, mit dem der Mensch über seine DNS verbunden ist. Im Hyperraum sei das Langzeitgedächtnis abgespeichert. Auch das Gehirn sei mit dem universalen Umfeld verbunden. Und Max Planck konstatierte in seiner Rede zum Nobelpreis (1918): „Es gibt keine Materie an sich, alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zu dem winzigen Sonnensystem des Atoms zusammenhält. Da es im ganzen Weltall weder eine intelligente noch ewige abstrakte Kraft gibt – es ist der Menschheit nie gelungen, das heiß ersehnte Perpetuum mobile zu finden – so müssen wir hinter dieser Kraft bewussten, intelligenten Geist annehmen.“ Max Plank

Energiefeld Gott

Totenkopf 461 – Ulrike Hinrichs, Aquarell

Diese wissenschaftliche Perspektive nähert sich spirituellen Ansätzen an. Die alten vedischen Lehren gingen davon aus, dass das Universum ein schwingendes Feld ist. Dieses Energiefeld nannten sie Akasha. Das mythologische Bild aus dem Mahayana Buddhismus – Indras Netz – ist eine weitere Metapher zur Beschreibung einer noch viel älteren vedischen Lehre, die ebenfalls verdeutlicht wie die Struktur des Universums in einem Netz verflochten ist. Dieses Energiefeld, das man auch Gott nennen kann, könnte die gemeinsame Wurzel aller Religionen sein.

Mit einer solchen Perspektive der Betrachtung von Bewusstsein gehe ich in Resonanz, es leuchtet mir ein. Damit wäre jedenfalls unser individuelles Bewusstsein „unsterblich“, Teil eines größeren Ganzen, wie die Welle im Meer. Vielleicht ist auch diese Annahme aber nur ein neues Narrativ in der großen Erzählung der Menschheit. Ich habe da so einen Ahnung: es gehört zum Menschsein dazu, dass wir dieses Rätsel nicht lösen können.

Und so ende ich mit einem persönlichen Erlebnis: Zu dieser Jahreszeit auf meinen Waldspaziergängen in den Harburger Bergen begegnen mir unzählige blau-schwarz glänzende Mistkäfer. Die schillernde Farbe ihres Panzers fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Einige sind totgetreten, andere flitzen über den Waldboden, wieder andere liegen auf dem Rücken und strampeln mit den Beinchen. Wenn mir ein solch hilfloser Käfer begegnet, drehe ich ihn auf die Beine. Und dann denke ich immer mal wieder, der weiß jetzt nicht, wer ihm das Leben gerettet hat. So beschränkt in meiner Wahrnehmung fühle ich mich auch, wenn ich über den Tod nachdenke.

Zitierte Literatur: Illobrand von Ludwiger (2010), Burkhard Heim – Das Leben eines vergessenen Genies

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