Der Kabarettist und TV-Schauspieler Fatih Çevikkollu gastiert am 1. April im Rahmen der ´SuedLese`:

„Den Schmerz des anderen respektieren!“

Immer gut gekleidet: Integrationsberater Fatih Çevikkollu (Foto: Tolga Talas)

Viele kennen den Schauspieler Fatih Çevikkollu aus der TV-Comedy-Serie „Alles Atze“, in der Rolle des Murat. Aber er kann mehr. Er hat 20 Jahre Bühnenerfahrung, ist ein ernstzunehmender Kabarettist und hat gleich für sein erstes eigenes Programm „Fatihland“ 2006 den Prix Pantheon Jurypreis bekommen.Am 1. April ist der Promi zu Gast in Harburg! Eine gute Gelegenheit ist, mit ihm ins Gespräch zu kommen…

Nomen est omen: Emfatih. Der Name ist Programm. Fatih Çevikkollu beleuchtet unter anderem das Dasein zwischen gefühltem In- und Ausländer. Als Sohn türkischer Eltern wurde er wegen seines Namens und Aussehens im eigenen (Deutsch-)Land oft genug vorschnell abgestempelt. Diese ´Desintegrationserfahrungen` haben Einfluss auf die Identitätsbildung, sagt er und sieht in der Ausgrenzung von Menschen eine stärkere Waffe als in roher Gewalt. Und doch: diese Erfahrungen bringt er mit Humor und Spielfreude ans Publikum.

Er knöpft sich gekonnt die Klammer in deutschen Köpfen vor und knackt die Impulsunterdrückung dieses unseres Volkes der korrekten Nachdenker, das sich mit Tabubrüchen schwer tut und nicht weiß, ob und wann es lachen darf. Er spielt mit den Vorstellungen in unseren Köpfen und zeigt auf, dass wir alle zu Tätern und Opfern von Vorurteilen neigen. Mit viel vorgeführter „Emfatih“ fällt es schwer, da noch ernst und distanziert zu bleiben.

Ort seiner Lesung ist die TUHH, immerhin. Oder auch: ausgerechnet da? Ahnungslos, dass dort einst die Brutstätte des Bösen war und trotz der Tatsache, dass er selbst aus Köln kommt, plant er vermutlich keine Anspielungen. Er ist einfach auf Achse und hat sich nichts dabei gedacht. Und wir freuen uns, ihn hier  begrüßen zu dürfen, zumal wir selber einen schlechten Ruf zu überwinden haben und also allen Grund haben, uns zu solidarisieren.

Möge er bei uns eine geistige Heimat finden – frei nach dem Motto: Kulturelle aller Länder, Städte und Flüsse vereinigt euch und fördert das Verständnis und den feinen Humor!

Tiefgang (TG): Du bist seit vielen Jahren erfolgreich. Hast du schon als Kind gerne Rollen gespielt und andere mit deinem Talent unterhalten bzw. wann bekamst du konkret Interesse an der Schauspielkunst?

Fatih Çevikkollu: Ich hatte immer viel Energie und habe auch viel geredet, was in meinem Umfeld nicht alle so toll fanden. Frag mal meine Eltern. Das Spielen von Rollen war mir nie ein Bedürfnis, aber ich habe immer und ständig alles kommentiert und meistens war es auch lustig – die Leute haben öfter gelacht. An das Theater bin ich eher zufällig gekommen. Ich bekam im Jahr 1993 einen Anruf von einem Freund, der mir anbot, in einem Theaterstück mitzuspielen. Ich hatte zu der Zeit keine Ahnung vom Theater und Schauspiel. Das alles gab es in meiner Welt als Sohn eines Arbeiters nicht.

Seine Sandalen sind eines seiner Markenzeichen. (Foto: Nicolay Georgiew) 

´93 habe ich mich bei diesem Jugend Tournee Theater gemeldet, vorgesprochen und die haben sich für mich entschieden. Seitdem stehe ich auf der Bühne und verdiene mein Geld damit. 1997 habe ich mich dann an verschiedenen staatlichen Schauspielschulen beworben und bestand an zweien: in Hannover und Berlin Ernst Busch, die Prüfung. Ich entschied mich für die Ernst Busch in Berlin. Nach der Ausbildung ging ich zum Schauspiel Düsseldorf, habe dort mehrere Jahre als Schauspieler gearbeitet und parallel dazu diese Serie Alles Atze gedreht. Irgendwann habe ich da gekündigt, weil mich dieses fremdbestimmte Arbeiten eingeschränkt hat. Du konntest halt nur spielen, wenn du besetzt wurdest und wenn nicht, durfest du zu schauen. Das fand ich auf Dauer unbefriedigend. Ich habe gekündigt und beschlossen, alleine auf die Bühne zu gehen und gemerkt, dass es funktioniert. Dass die Menschen lachen, wenn ich was erzähle. Nun mache ich seit 2005 Kabarett und bin im ganzen Land unterwegs.

TG: Hast Du Vorbilder?

Çevikkollu: Vorbilder auf der Bühne habe ich ganz viele. Beispielsweise höre ich gerne Hagen Rether zu. Beeindruckend finde ich auch Josef Harder. Im Englischsprachigen mag ich Ricky Gervais oder David Chapelle.

TG: Was inspiriert dich für deine Kabarettprogramme?

Çevikkollu: Die Inspiration zu den Programmen kommt aus dem, was mich anspricht. Themen, die mich interessieren, sind Themen, die in unserer Gesellschaft relevant sind, über die Digitalisierung bis zur Bildung unserer Kinder oder auch der Rassismus, der in der Gesellschaft partiell herrscht. Jedes Thema, das mich anspricht, behandele ich auf der Bühne.

„Wir können alle Opfer und Täter von Vorurteilen werden“

TG: Wie lange sitzt du an der Ausarbeitung eines neuen Programms, bevor es auf die Bühne kommt?

Çevikkollu: Der Ausbau eines cleveren Grundgedanken hängt etwas vom Thema ab, das kann ich nicht pauschal beantworten. Die Entstehung eines Programms hat mehrere Stufen. Es beginnt mit dem Sammeln von Themen, die mich interessieren. Dann folgt die Recherche. Es gibt viel zu lesen und zu entscheiden. Es ist ein ständiges Sieben. Wenn das Programm theoretisch fertig ist, muss noch praktisch auf der Bühne ausprobiert werden, um zu sehen, welcher von diesen Gedanken dort bestehen kann. Das ist der schwierigste und schmerzhafteste Teil. Bis das alles funktioniert, muss ich auf der einen Seite sehr wach und auf der anderen Seite sehr kritisch sein. Am Ende wollen die Zuschauer ja lachen. Bis das erreicht ist, dauert es seine Zeit. Die muss ich mir selbst zugestehen und hoffen, dass diese Phase so kurz wie möglich ist. Es ist spannend und anstrengend, aber zugleich macht das auch den Reiz aus. Es gibt keine Sicherheit. Am Ende gibt es nur das gesprochene Wort und die Frage, ob es reicht. Und was nicht reicht, wird angereichert. Im besten Fall ist das alles nach drei Monaten durch.

TG: Hast du schon erlebt, dass Menschen deinen Humor in den falschen Hals bekommen haben? Wenn ja, wie äußerte sich das und wie bist du damit umgegangen?

Çevikkollu: Wenn ein Zuschauer was in den falschen Hals bekommt, ich mir aber an dem Punkt klar bin, was ich sagen will, ist das völlig Ordnung. Das halte ich schon aus und wünsche es mir auch von meinem Publikum. Ich lege es aber nicht darauf an, dass die Leute einen Hals bekommen, wenn sie mir zuhören. In erster Linie muss ich unterhalten, und wenn es dann hier und da mal knirscht, gehört das dazu.

TG: Ist deine Arbeit durch die aktuellen politischen Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland und anderen EU-Staaten schwieriger geworden? Oder besteht unter Umständen eine größere Gesprächsbereitschaft, weil viele sich derzeit mit dem Thema beschäftigen?

Çevikkollu: Ich versuche mit meiner Arbeit das Publikum dafür zu sensibilisieren, dass wir alle Täter und Opfer von Vorurteilen werden können. Die derzeitigen Spannungen treten durch die aktuellen Abhängigkeiten auf politischer Ebene deutlicher zutage, aber es gab sie schon immer. Ausgrenzungserfahrungen begleiten Einwanderer und deren Kinder in der Regel ein Leben lang. Zu einer gelungenen Integration gehört allerdings mehr als die Forderung nach Anpassung. Hier gab es große Versäumnisse, denn Deutschtürken und auch andere stoßen oft auf Ignoranz, viele Vorbehalte oder gar Ablehnung. Und gleichzeitig wird ihnen vorgeworfen, sie selbst verweigerten die Integration. Gegenseitige Schuldzuweisungen bringen uns jedoch einer Lösung nicht näher, sondern sie polarisieren und vertiefen die Gräben – zwischen der Türkei und Deutschland, aber auch innerdeutsch zwischen den Konfliktparteien. Die Stimmung ist sehr aufgeheizt, aber es gibt auch gute Ansätze, sich differenziert mit den Problemen auseinanderzusetzen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Der armenische Journalist Hrant Dink, der 2007 in Istanbul erschossen wurde, hat es eigentlich auf den Punkt gebracht: „Wir müssen lernen, den Schmerz des anderen zu respektieren.“

TG: Gibt es Tabuthemen für dich – oder sind gerade die besonders reizvoll?

Çevikkollu: Nein, es gibt keine Tabuthemen. Es gilt der Satz: Je größer das Tabu, desto stärker der Gag. Wenn es an dieser Stelle ein Ungleichgewicht gibt, ist es peinlich.

TG: Bist du mit der Entwicklung deiner Karriere zufrieden?

Çevikkollu: Ja, ich bin mit der Entwicklung zufrieden. Solange ich auf der Bühne stehen und die Sachen erzählen kann, die ich wichtig und witzig finde, bin ich sehr zufrieden. Klar, es müssen auch Zuschauer kommen, aber das tun sie ja, Gott sein Dank.

TG: Wie sehen deine Zukunftspläne aus? Hast du einen bestimmten Traum, den du verwirklichen möchtest?

Çevikkollu: Meine Zukunftspläne sind: gesund zu bleiben und ich möchte gerne viel reisen.

TG: Hast du noch eine Botschaft für unsere Leser, dein Publikum, alle Völker, die ganze Welt?

Çevikkollu: Meine Botschaft an die Zuschauer? Kommt ins Programm, live ist es immer etwas anderes, lebendiger viel lebendiger, als hier etwa diesen Text zu lesen. Aber vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast. Wir sehen uns in der TUHH am 1. April, kein Scherz.

TG: Wir bedanken uns ganz herzlich für dieses Interview und wünschen dir und uns viel Spaß, gute Unterhaltung und gelungenen kulturellen Austausch!

Fatih Çevikkollu im Netz fatihland.de und auf Facebook

Fatih Çevikkollu tritt mit seinem aktuellen Programm ´Emfatih` am Sa., 1. April 2017 um 20h im Audimax 2 der TU Hamburg-Harburg, Denickestr. 22, 21073 Hamburg auf. Kartenreservierung empfohlen über E-Mail post(at)contrazt.de.

(Das Gespräch für ´Tiefgang` führte Sonja Alphonso)

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