War 2020 einfach nur für die Tonne? Wir haben bei Kulturschaffenden nachgefragt. Heute der Harburger Künstler Brozilla.
Wie hat sich die Pandemie im Arbeitsalltag 2020 bemerkbar gemacht?
Sehr massiv. Mit dem ersten Lockdown entschwanden nach und nach auch nahezu alle Termine. Geplante Reisen, Workshops und Ausstellungen mussten verschoben bzw. gecancelled werden. Aus einer eher stressigen Jahresplanung galt es dann das Beste aus der Situation zu machen und mit der nicht ganz sorgenfreien Ruhe umzugehen.
Wie weit werden die Nachwirkungen nachhallen?
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ganz abschätzen. Sollten alle abgesagten Termine nachgeholt werden, steht mir eine arbeitsreiche Zeit nach dem Lockdown bevor. (lacht)
Was waren 2020 die gravierendsten Entwicklungen?
Zunächst einmal wohl der unhinterfragte Aufstieg von Amazon und google zu den alleinigen Marktführern mit schwindelerregend hohen, steuerfreien Umsatzrekorden. Eine Gesellschaft die sich immer mehr spaltet, isoliert und vor allem langweilt. Das Vermummen in der Öffentlichkeit ist per Gesetz von der Regierung angeordnet. Dass ich das noch erleben darf … (lacht)
Die Maschine der Weltwirtschaft stand für einen Moment nahezu still.
Was hat 2020 an neuer Kreativität hervorgebracht?
Ich finde wenig. Der Überlebenskampf in der Kulturszene hat eher dazu geführt, dass sich die Akteure bemüht haben mittels neuer Medien ein Angebot zu schaffen, mit dem sich der Lebensunterhalt finanzieren lässt. Ich hab da nichts gesehen, was besonders experimentell oder avantgardistisch daher kam. Nach dem anfänglichen Streamingboom und den Balkonkonzerten erfasste dann doch die Mehrheit die Lethargie.
Wirklich kreativ sind nur die neurechten Verschwörungskasper. (lacht)
Was war das persönlich einschneidenste Erlebnis in 2020?
Ich habe in 2020 unglaublich viel Solidarität erfahren. Mit dem Lockdown kamen die Anfragen für Auftragsleinwände. Mir schien es so, als wollten mich die Kunden und Sammler bewusst in diesen Zeiten unterstützen. Das haben sie auch und darüber freue ich mich sehr!
Was ist für 2021 absehbar?
Das kann ich tatsächlich noch nicht sagen. Theoretisch könnte ich sofort nach Namibia fliegen oder nach Detroit. Ich vermisse auch meine Freunde in Armenien und in der Schweiz.
Ich steh´ also in den Startlöchern und warte auf den Startschuss.
Was wäre in 2021 wünschenswert?
Dass die Menschen anfangen, sich an eine Welt mit weniger Lohnarbeit zu gewöhnen und die neugewonnene Zeit für sich zu nutzen. Nicht nur über die Einschränkungen im Amusementsektor zu klagen, sondern Gestalter des eigenen Lebens zu werden.
Was wird von 2020 bleiben?
Aktuell Covid-19. (lacht)
Kurzfristig werden wir es wohl mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu tun bekommen. Auch viele Kleinbetriebe werden wohl den Besitzer wechseln und die Kulturbranche wird auch Jahre brauchen um sich davon zu erholen.
Dauerhaft wird sich vermutlich nur die Maske in Grippephasen bei einigen halten.
Gerrit Fischer alias Brozilla, Künstler
Die Idee, das künstlerische Werk unter dem Pseudonym BROZILLA zu veröffentlichen, entwickelte der 1979 geborene Hamburger Gerrit Fischer im Jahr 2008 und fußt auf den Wurzeln des Künstlers in der Graffiti-Szene.
Seit 1994 widmete er sich dem autodidaktischen Studium der Graffiti-Malerei und setzte sich dabei zunächst intensiv mit der ungefragten Umgestaltung des öffentlichen Raumes auseinander.
Seit 2012 zeigt Brozilla seine Leinwandarbeiten auf Ausstellungen, bietet Graffiti- Workshops an und verbreitet seinen Namen auf dem Globus.