Der Besuch der Nachfahren muss zwar corona-bedingt ausfallen, aber die Initiative Gedenken in Harburg erinnert in einer Reihe von Veranstaltungen und Projekten an den aus Wilhelmsburg stammenden NS-Widerstandskämpfer …
Zu den Träumen, die, trotz großer Begeisterung und Unterstützung, in der Corona-Krise Illusion blieben, gehört auch der des US-Bürgers Christopher Bade. Mehr als zwei Jahre lang hatte er Pläne geschmiedet, um mit seiner Familie im Juli 2021 anlässlich des 100. Geburtstags seines Onkels Hans Leipelt die Orte in Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik aufzusuchen, an denen seine Vorfahren Freud und Leid erfahren hatten.
Christopher Bade war überwältigt von der positiven Resonanz, auf die seine geplante Reise bei vielen Institutionen und Personen stieß, die sich seinen Vorfahren verbunden fühlen.
Die Corona-Pandemie hat den Plan des Neffen von Hans Leipelt erst einmal zerschlagen. Das wird gerade in Hamburg – und speziell in den Stadtteilen im Süden der Hansestadt – sehr bedauert. Hier wollten die amerikanischen Besucher sich länger als anderswo aufhalten, da ihre Mutter – bzw. Großmutter – in der Neuen Welt besonders gern auf die frühen Jahre ihrer Jugend in diesem Teil der Alten Welt zurückblickte.
Jetzt müssen Christopher Bade und seine Familie sich erst einmal von dem Traum einer Europareise auf den Spuren der Familie verabschieden. Aber an der Bedeutung dieses 100. Geburtstages wird sich für Hans Leipelts Nachfahren nichts ändern. Intensiv werden sie im Internet die vielen Veranstaltungen und Projekte verfolgen, die in den nächsten Wochen an Hans Leipelt und sein Wirken im Kampf gegen das NS-Regime erinnern.
Dazu zählen auch einige Hamburger Programmbeiträge:
- Auf dem Büchermarkt erscheinen demnächst zwei Publikationen, die sich mit Hans Leipelt befassen. 1. – Angela Bottin, ENGE ZEIT: Spuren Vertriebener und Verfolgter der Hamburger Universität 1933 – 1945, Reprint des Ausstellungskatalogs von 1991, Reimer Verlag, Berlin 2021 und Peter Fischer-Appelt, Weiße Rose Hamburg. Reden zum Widerstand im Nationalsozialismus, Wallstein Verlag, Göttingen 2021.
- Am Donnerstag, 18. Juli 2021, wird die VVN/BdA Hamburg am Weiße-Rose-Mahnmal in HH-Volksdorf Hans Leipelt und seinen Widerstand gegen das NS-Regime würdigen.
- Darüber hinaus haben natürlich auch im Juli 2021 alle Interessierten weiterhin Gelegenheit, sich auf eigene Faust mit ihrem Smartphone auf den mit QR-Codes und GPS-Daten versehenen digitalen Rundgang auf den Spuren der Familie Leipelt durch Wilhelmsburg zu begeben. Der Rundgang wurde im vergangenen Jahr von einer 9. Klasse der Stadtteilschule Wilhelmsburg erarbeitet und beginnt am Haupteingang ihrer Schule in der Rotenhäuser Straße 47.
Biografie Hans Leipelts
von Klaus Möller
Hans Leipelt (18.7.1921 – 29.1.1945) stammte aus einer zum evangelischen Glauben konvertierten jüdischen Familie. Seine Schwester Maria (13.12.1925 – 5.9.2008) war vier Jahre jünger als ihr Bruder. Die beiden Kinder verbrachten eine glückliche Kindheit und Jugend auf der Veddel und in den damals noch preußischen Orten Heimfeld, Rönneburg und Wilhelmsburg. In den Ferien waren sie oft bei ihren Großeltern.
Diese Verwandtenbesuche kamen allerdings im März 1938 zum Erliegen, als Otto Baron sich nach der Besetzung Österreichs durch die deutsche Wehrmacht unmittelbar nach einem Gestapoverhör das Leben nahm und seine Eltern Hals über Kopf in die tschechoslowakische Kleinstadt Cerná Horá flüchteten. Dort starb Arnold Baron wenige Wochen später, während seine Frau nach der Besetzung auch dieses europäischen Staates durch deutsche Truppen im März 1939 abermals ihre Koffer packte und in der Familie ihrer Tochter Katharina Leipelt in HH-Wilhelmsburg Zuflucht fand. Im Sommer 1942 wurde Hermine Baron im Alter von 75 Jahren von Hamburg in das Getto Theresienstadt deportiert, wo ihr Leben ein halbes Jahr später endete.
Im gleichen Jahr starb Hans Leipelts Vater Konrad, der als technischer Direktor der Wilhelmsburger Zinnwerke, einem kriegswichtigen Unternehmen, unter ständig wachsendem Leistungsdruck stand. Zwei Jahre zuvor hatte er noch alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seinem Sohn eine Studienerlaubnis zu verschaffen, nachdem er als „Halbjude“ unehrenhaft aus der deutschen Wehrmacht, in deren Reihen er 1939 in Polen und 1940 im Westen gekämpft hatte, entlassen worden war. Hans Leipelt hatte im Herbst 1940 zunächst in Hamburg ein Chemiestudium begonnen, mit dem nach einem Jahr jedoch wieder Schluss war. Andere Universitäten verwehrten ihm auch den Zugang. Er konnte es vor Glück kaum fassen, dass der Nobelpreisträger Prof. Heinrich Wieland (4.6.1877 – 5.8.1957), der Leiter des chemischen Instituts der Münchener Universität, sich über alle geltenden Zulassungsbestimmungen hinwegsetzte und ihm eine Möglichkeit bot, sein Studium bei ihm fortzusetzen.
Hier in München fand er im Februar 1943 das 6. Flugblatt der „Weißen Rose“, das zum Widerstand gegen das NS-Regime aufrief, in seiner Post. Zusammen mit seiner Freundin Marie-Luise Jahn schrieb er es auf einer Reiseschreibmaschine mehrfach ab. Bald schloss sich auch seine Schwester Maria dieser Aktion an.
Die Durchschläge reichten sie an gute Freunde in München und Hamburg weiter, wobei sie zugleich um eine Geldspende für Klara Huber baten. Ihr Mann Professor Kurt Huber, der zum Kern der „Weißen Rose“ gehörte, war unmittelbar nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl und ihres Freundes Christoph Probst ebenfalls verhaftet und zugleich fristlos und unter Verlust aller Versorgungsrechte, die ihm als Beamten zustanden, aus dem Hochschuldienst entlassen worden. Seine Frau wusste nicht, woher sie das Geld nehmen sollte, um ihren Lebensunterhalt und den ihrer zwei minderjährigen Kinder zu bestreiten.
Im Oktober 1943 wurde Hans Leipelt in diesem Zusammenhang in München verhaftet. Seine Schwester ereilte dieses Schicksal einen Monat später. Im Dezember 1943 wurde dann auch seine Mutter Dr. Katharina Leipelt verhaftet. Sie beging unmittelbar nach ihrer Einweisung in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in ihrer Zelle Selbstmord.
Hans und Maria Leipelt mussten lange auf ihren Prozess warten. Am 13. Oktober 1944 wurde Hans Leipelt vom Zweiten Senat des Volksgerichtshofes in der bayrischen Kreis-stadt Donauwörth zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde drei Monate später – am 29. Januar 1945 – im Gefängnis München Stadelheim vollstreckt.
Seine Schwester Maria wurde am 14. April 1945 von amerikanischen Truppen aus dem Frauengefängnis in Bayreuth befreit, bevor der Volksgerichtshof eine Woche später den Prozess gegen sie und andere Angeklagte in Hamburg eröffnet hätte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte sie in die USA, wo sie zunächst ihre Schullaufbahn beendete und anschließend Biochemie studierte. Danach lehrte sie als Dozentin an der Harvard University und am Massachusetts Institute of Technology. Sie war mit dem Physiker William Bade verheiratet. 1958 kam ihr Sohn Christopher Bade zur Welt. Als Maria Bade, geb. Leipelt, im September 2008 im Alter von 83 Jahren in Concord (Mas-sachusetts) starb, konnte sie auf ein bewegtes Leben zurückblicken.
Ihr Bruder Hans Leipelt ist im öffentlichen Bewusstsein der Nachwelt als Weggefährte der Männer und Frauen der „Weißen Rose“ bis heute unvergessen.