Serie „Gedenken in Harburg“: Helene Jakobsen – Maretstr. 17 (Harburg)

„Vollkommen verwirrt, sehr leicht gereizt“

Foto: hl

Sie wollte Schneiderin werden. Dann aber kamen epileptische Anfälle. Statt Hilfe kamen die Nazis. Das war ihr Verderben …

Helene Jakobsen wurde am 22. Februar 1893 in Harburg geboren. Sie war das dritte Kind ihrer Eltern Peter (geb. 15. Sept. 1853) und Magdalene Jakobsen, geb. Lehmkuhl (geb. 7. Dez. 1862). Nach der Schule absolvierte sie eine Lehre als Schneiderin. Diesen Beruf konnte sie aber nur kurzfristig ausüben, weil sie seit ihrem 16. Lebensjahr unter epileptischen Anfällen litt.

Während die junge Harburgerin in den 1920er Jahren nur in großen Abständen über epileptische Anfälle zu klagen hatte, traten sie nach dem plötzlichen Tod ihres schwerkriegsbeschädigten Bruders Paul am 13. Oktober 1931 häufiger und heftiger auf. Die Medikamente, die die behandelnden Ärzte einsetzten, erwiesen sich als nur kurzzeitig erfolgreich. Die psychischen Beeinträchtigungen waren so groß, dass Helene Jakobsen am 21. November 1931 in die „Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg“ eingewiesen werden musste. Dort „besserte sich“ ihr Zustand langsam. Nach zehn Monaten glaubten die Ärzte, sie in das „Pflegeheim Huckfeld“ bei Emmelndorf im Landkreis Harburg entlassen zu können. Doch nach einer Zwangssterilisation und einer weiteren Unterleibsoperation traten die alten Symptome erneut auf. Die epileptischen Anfälle häuften sich wieder, und die Zeichen geistiger Verwirrung waren nicht zu übersehen.

Helene Jakobsen, 1934 © Evangelische Stiftung Alsterdorf

Am 31. August 1935 wurde Helene Jakobsen ein zweites Mal in die „Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg“ verlegt. Nach einem Schlaganfall nahmen die epileptischen Krämpfe und die Phasen psychischer Störungen abermals zu. Eineinhalb Jahre später wurde die Patientin zur weiteren Behandlung und Pflege in die damaligen Alsterdorfer Anstalten eingewiesen. Die Eintragungen in ihre Patientenakte vermitteln ein schwankendes Bild ihrer weiteren Entwicklung. An einigen Tage wurde sie als ordentlich und freundlich beschrieben, als Frau, die „Interesse an ihrer Umgebung“ zeigte und „sich über die Natur freute“; an anderen Tagen gurteten die Pfleger sie im Bett an, weil sie „wirr“ redend im Schlafsaal umherlief und mit Gegenständen warf.

In seinem Gutachten für die Hamburger Sozialverwaltung stellte der leitende Oberarzt Gerhard Kreyenberg im November 1938 fest: „In der Körperpflege ist sie [Helene Jakobsen] selbständig. Sie wird mit Handreichungen beschäftigt, ist fleißig und ordentlich. In der freien Zeit ist sie leicht zu leiten. Sie hat häufig langandauernde Dämmerzustände, in denen sie strengster Beaufsichtigung bedarf. Weiterer Anstaltsaufenthalt ist erforderlich.“

Mit dem letzten großen Abtransport von 228 Frauen und Mädchen aus den damaligen Alsterdorfer Anstalten gelangte Helene Jakobsen am 16. August 1943 in die „Landes- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke am Steinhof“ in Wien. Die Wiener Ärzte stellten durchweg negative Diagnosen für sie. Schon bei der ersten Eintragung in ihre Krankenakte hieß es: „Patientin … [nach] einem typischen epileptischen Anfall … vollkommen verwirrt, sehr leicht gereizt … und sehr grob. Auf Fragen antwortet sie nach langer Latenz langsam und unbeholfen, erweist sich als stark dement.“

Am „Steinhof“ regierte der Tod. 196 der Alsterdorfer Patientinnen waren Ende 1945 nicht mehr am Leben. Das Sterben geschah systematisch: durch Überdosierung von Medikamenten, Nichtbehandlung von Krankheiten und Nahrungsentzug. Helene Jakobsens Leben endete am 17. Juli 1944.

© Klaus Möller

Quellen: Gedenkbuch der Evangelischen Stiftung Alsterdorf; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Krankenakte Helene Jakobsens (V192); Wunder u. a., Kein Halten., 2. Auflage.

(leichte Überarbeitung für ´Tiefgang` v. Heiko Langanke)
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Weiterführende Links:

stolpersteine-hamburg.de und www.gedenken-in-harburg.de

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